Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
vorgeschlagen, abwechselnd Wache zu halten.
«Dein Onkel war ja nie ein begeisterter Jäger. Er ist zwar mit uns anderen zur Jagd gegangen, hatte aber keine Freude am Töten. Im letzten Winter habe ich hier auf dem Hof mehrmals Luchsspuren gesehen und überlegt, ob ich darüber mit den Nachbarn reden sollte. Wir hätten ohne weiteres eine Abschussgenehmigung bekommen und wären die Raubkatze losgeworden, die das Vieh erschreckt. Vielleicht lachst du mich jetzt aus, aber damals ist mir dein Onkel im Traum erschienen. Er hat mir gesagt, ich soll die Luchse in Ruhe lassen und lieber meine Zäune reparieren.»
Matti schnitzte mit seinem Messer am Zaun herum und wirkte verlegen, als er mir von seinem Traum erzählte. Ich hätte ihn am liebsten umarmt, begnügte mich aber damit, zu lächeln und den Draht des elektrischen Weidezauns fester anzuziehen.
Als ich am letzten Abend zu Fridas Grab ging, um den Rosenstrauch zu gießen, den ich darauf gepflanzt hatte, schien David mir ganz nahe zu sein. Ich versuchte ihn zu verscheuchen. Sobald ich wieder in Helsinki war, würde ich mein albernes Zölibat aufgeben. Es gab niemanden, dem ich treu sein musste, und Sex würde mir körperlich und seelisch guttun. Am besten suchte ich mir in einer Kneipe einen Mann, an dessen linker Hand die Spur eines eilig abgestreiften Traurings zu sehen war. Mit so einem würde es keine unnötige Gefühlsduselei geben. Ich blickte auf den See, hinter dem die Sonne unterging. Onkel Jari war auf dem Friedhof in Kaavi beerdigt worden, weil ich nicht daran gedacht hatte, Einäscherung zu verlangen. Hierher hätte er gehört, nicht unter einen Grabstein auf dem Kirchhof. Aber es war wohl gleichgültig, wo der Körper seine letzte Ruhestätte fand. Natürlich war Onkel Jari für immer und ewig hier in Hevonpersiinsaari, genau wie Frida.
Ich hatte im Frühjahr und Sommer einige Male die Nummer von Kass angerufen, die ich auf Davids Handy gefunden hatte. Im Juli hatte ich es schließlich aufgegeben, denn ich glaubte nicht mehr daran, dass die Nummer noch in Gebrauch war. Nun beschloss ich, mein Glück noch ein letztes Mal zu versuchen. Wenn sich niemand meldete, würde ich auch diese Verbindung zu David vergessen. Ich ging auf den Bootssteg und tippte die Nummer ein.
Als sich der Teilnehmer meldete, war ich so verblüfft, dass ich fast ins Wasser gefallen wäre. Ich erkannte die Stimme sofort, obwohl ich sie nur einmal gehört hatte, bei Laitio. Zudem nannte der Mann seinen Namen laut und deutlich:
«Rytkönen.»
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Ich unterbrach die Verbindung sofort und schaltete das Handy aus. Zwar hatte ich einen Prepaid-Anschluss, aber orten ließ sich das Gerät trotzdem, und der Sendemast in der Nähe von Hevonpersiinsaari würde mich erbarmungslos verraten. Verdammter Mist! Wer war dieser Rytkönen eigentlich? Laitio hielt ihn offenbar für einen diensteifrigen Idioten, aber auch er konnte sich irren.
Ich ging in die Stube, wo Monika am Laptop Aufzeichnungen machte. Da ich meinen eigenen Computer nicht mitgenommen hatte, bat ich sie, nicht abzuschalten, wenn sie fertig war. Vielleicht konnten mir die Suchmaschinen im Internet mehr über Rytkönen verraten. Seinen Vornamen kannte ich nicht, hatte nur den Rufnamen Mara gehört. Vermutlich war das eine Abkürzung von Martti, möglicherweise aber auch von Mauri oder sogar Markku. Rytkönen hatte eine Verbindung zu David, eine Verbindung, von der selbst Laitio nichts wusste. Ich spürte, wie mir der Schweiß über den Rücken lief und sich mein Atem beschleunigte, wie immer in kniffligen Situationen. Monika sah mich an, als sie die tiefen Atemzüge hörte, mit denen ich mich zu beruhigen versuchte.
«Ist etwas passiert?»
«Nein!» Ich öffnete den Kühlschrank, in dem meiner Erinnerung nach noch eine Flasche Bier stehen musste. Zischend sprang der Kronkorken ab, nachdem ich ihn gegen die Tischkante gedrückt hatte. Onkel Jari hatte mir diesen Trick beigebracht, lange bevor ich alt genug war, um Bier zu trinken.
Monika wusste zweifellos, dass ich nicht die Wahrheit sagte, doch sie fragte nicht nach. Das war einer der Gründe, weshalb ich sie mochte. Sie hörte zu, wenn es nötig war, bildete sich aber nicht ein, sich in alles einmischen zu müssen.
«Maijas Sultsina muss unbedingt auf unsere Speisekarte.» Seufzend stand Monika auf. «Ich habe selten etwas so Gutes gegessen. Bisher dachte ich allerdings, Sultsinas kämen aus dem Osten, aus Karelien.»
«Hat Maija dir nicht erzählt, dass ihre Mutter eine
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