Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Heimatvertriebene aus Karelien war? Von da stammen ihre Sultsinas, die karelischen Piroggen und die Pilzgerichte. Importware, von jenseits der heutigen Grenze. Ich überprüfe nur noch eine Kleinigkeit, dann wird es Zeit zu schlafen. Wir haben morgen eine lange Fahrt vor uns.»
    Monika hatte auf den Namen ihrer Firma einen Kleintransporter gekauft, den sie selbst nicht gern lenkte. Daher war auch das Chauffieren auf die Liste meiner Aufgaben gesetzt worden. Insofern war es gut, dass es nur eine einzige Flasche Bier gab. Monika machte es sich mit einem Buch in Onkel Jaris früherer Schlafkammer gemütlich, während ich mit meiner Suche begann. Ich versuchte es zuerst mit Mauri Rytkönen, bekam aber keinen passenden Treffer. Bei Martti klappte es dagegen. ‹Zwar sollte man die Bedrohung der öffentlichen Sicherheit nicht überbetonen, doch ist festzustellen, dass es leichter geworden ist, internationale Kriminelle nach Finnland einzuschleusen, erklärt Martti Rytkönen, Kommissar in der Auslandsabteilung der Zentralen Kriminalpolizei›, hieß es gleich auf der zweiten Seite, die ich fand. Bald darauf entdeckte ich seinen Namen auf der Liste der Sieger im Bodybuilding-Wettkampf der Polizeisportler, von wo mich ein Link zu genaueren Personalien führte: «Rytkönen, Martti Kullervo, geb. 1975 in Iisalmi, studierter Jurist, Kommissar der Auslandsabteilung der Zentralen Kriminalpolizei, 2003 – 2009 bei Europol in Brüssel. Hobbys: Bodybuilding und Karate.» Seine Familie und seine Adresse wurden verständlicherweise nicht erwähnt. Über die Telefonauskunft erhielt ich nur die Nummer der Zentralkripo. Kaum ein Polizist war so dumm, seine Telefonnummer öffentlich zu machen.
    Ich konnte Rytkönen natürlich nicht beschatten, aber für Reiska wäre auch das möglich. Vielleicht würde ich trotzdem zuerst mit konventionellen Mitteln arbeiten, wenn ich wieder in Helsinki war. Aber warum war Rytkönens Deckname Kass? Da es sich auch bei den anderen Codes um Tiernamen in verschiedenen Sprachen handelte, hatte ich angenommen, Kass, das estnische Wort für Katze, verweise auf einen Landsmann von David, vielleicht auf Bruder Gianni. Und wieso hatte Kass-Rytkönen sich jetzt plötzlich gemeldet, nachdem er monatelang nicht zu erreichen war?
    Bevor ich schlafen ging, packte ich den kleinen Waffenschrank, der meine Glock und die dazugehörigen Patronen enthielt, ganz unten in meine Reisetasche. Monika brauchte die Waffe nicht zu sehen, und in der Yrjönkatu würde ich sie im Kleiderschrank verstauen. Sobald ich Zeit fand, würde ich eine Blendwand davorsetzen und auf eine Schießbahn gehen. Mangelnde Übung war ein Risikofaktor.
    In Helsinki erwartete uns ein pingeliger Bauinspektor, der behauptete, in unseren Bauzeichnungen Fehler und Sicherheitsmängel entdeckt zu haben. Monika hatte Gerüchte gehört, der Mann werde von zwei Restaurantketten geschmiert, die ihr Revier gegen Konkurrenten verteidigten. Wir waren tagelang damit beschäftigt, die Zeichnungen zu überarbeiten und zu beteuern, das immer noch namenlose Restaurant würde nicht die übliche Crossover-Küche anbieten, sondern traditionelle Gerichte. Ich spielte mehrmals mit dem Gedanken, mich als Reiska zu verkleiden und dem Meckerfritzen ein bisschen zuzusetzen, doch das hätte Monika nicht gebilligt.
    Allerdings beschloss ich, Reiskas Stimme für meinen nächsten Anruf bei Kass zu nutzen. Ich hatte geübt, mit Reiskas heiserer Stimme zu sprechen und dabei immer wieder einmal ins Stottern zu geraten. Das Geschlecht des Sprechers war nie angezweifelt worden, ich war stets als Mann durchgegangen. Doch diesmal musste ich eine Stimme finden, die Davids ähnelte.
    Wann immer ich im Zentrum von Helsinki allein und außer Hörweite anderer Menschen war, was nicht oft vorkam, suchte ich nach dem richtigen Ton. Besonders sicher fühlte ich mich auf den Joggingpfaden in Hietaniemi und im Kaivopuisto-Park.
    Die drei nächsten Anrufe bei Kass brachten dasselbe Ergebnis wie im Frühjahr: Der gewünschte Teilnehmer ist derzeit nicht zu erreichen. Wahrscheinlich meldete sich Rytkönen nur dann, wenn er ungestört war. Erst zehn Tage nach unserer Rückkehr aus Hevonpersiinsaari klappte es. Ich machte gerade einen Spaziergang am Meer. Als ich begriff, dass ich jetzt sofort mit knödelnder Tenorstimme sprechen musste, verfiel ich automatisch in Reiskas Gehweise.
    «Rytkönen. Leg nicht wieder auf wie letztes Mal!» Rytkönen sprach jetzt ohne jede Dialektfärbung, vielleicht ging er