Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
Befinden. Er schien nicht zu wissen, dass jemand als David Stahl bei Rytkönen angerufen hatte. Offenbar funktionierte der Informationsaustausch innerhalb der Zentralkripo – oder zumindest zwischen Laitio und Rytkönen – nicht reibungslos. Ich grübelte vergeblich über eine Möglichkeit nach, Rytkönen auszufragen, ohne meine Identität preiszugeben. Auf meinen Brief an Bruder Gianni erhielt ich lediglich eine Ansichtskarte vom Kloster Sant’Antimo im Nebel, auf der stand: «Liebe Hilja, ich habe keine Neuigkeiten. Damit musst du dich abfinden.»
Eines Abends, als Monika Verwandte besuchte, nahm ich das Kaleidoskop auseinander. Ich zerschlug den Boden und ließ den Inhalt auf den Tisch gleiten. Ich sah nur Glasstücke. Weiße, purpurfarbene, hellrote, violette … Die nächste Schicht war gelb, grün und schwarz. Ich erinnerte mich an die Spionagegeschichten, die ich als Kind gelesen hatte; dort hatten sich zwischen den Glasstücken wertvolle Edelsteine verborgen. Also begann ich, jedes Teil einzeln zu untersuchen. Ein Mikroskop besaß ich nicht; es hatte zwar seit meiner Rückkehr aus New York auf meiner Anschaffungsliste gestanden, doch ich hatte den Kauf immer wieder aufgeschoben. Für den Anfang musste ein Vergrößerungsglas genügen, das ich auch für den klassischen Kratztest verwenden konnte.
An keinem der über hundert Glasstücke war etwas Auffälliges zu entdecken. Als ich wieder durch das Kaleidoskop blickte, sah ich nur das Schimmern des Spiegels in seinem Innern. Konnte zwischen dem Spiegel und dem Messingkörper etwas stecken? Wie ließ sich das Teil öffnen – sollte ich es schmelzen? Dabei würde ich den möglicherweise versteckten Inhalt zerstören. Wer konnte mir sagen, wie ein Kaleidoskop aufgebaut war? Ich wusste nicht einmal, ob man das Ding reparieren konnte. An den alten Spruch, ein zerbrochener Spiegel bringe sieben Jahre Unglück, glaubte ich zwar nicht, aber ich hatte dennoch Skrupel. Das Kaleidoskop war kunstvoll angefertigt, es war eine Schande, einen so schönen Gegenstand zu zerstören. Doch wenn ich etwas herausfinden wollte, hatte ich keine andere Wahl.
Hinter dem zerbrochenen Spiegel kam ein zusammengerolltes Stück Papier zum Vorschein. Ich strich es glatt. Der kurze schwedischsprachige Text entlockte mir einen Fluch. «Liebe Hilja, ich kenne dich zu gut. Hoffentlich findest du auch heraus, was die Karte und der Ring bedeuten. David».
Wenn ich das Kaleidoskop nicht bereits in seine Einzelteile zerlegt hätte, wäre es jetzt an die Wand geflogen. Was sollte dieses kindische Theater? Als ob David mich aus der Ferne, vielleicht sogar aus seinem Grab, verlachte. Vielleicht hatte er bereut, mir zu viel von sich erzählt zu haben. Einen Moment lang empfand ich geradezu Hass auf ihn.
Den Ring wollte ich danach nicht mehr ansehen, brachte es aber auch nicht fertig, ihn wegzuwerfen. Er kam mir irgendwie bekannt vor, doch ich wusste nicht, woher. Hatte ich ihn im Schaufenster irgendeines Juweliergeschäfts bewundert? Ich hatte keinerlei Erinnerung daran. Schmuck trug ich höchstens zur Verkleidung. Ich hatte nie von einem Verlobungsring geträumt wie manche Mädchen, die schon in der Schulzeit überlegten, wie viele Diamanten ihr Ring haben sollte. Allzu deutlich erinnerte ich mich an die funkelnden Ringe am abgehackten Finger meiner Mutter. Ich würde niemals glauben, der Ehestand bringe Sicherheit.
Auf Riikkas Hochzeit betrank ich mich hemmungslos und wäre beinahe mit dem kaum volljährigen Vetter des Bräutigams im Bett gelandet. Zum Glück hatte ich doch noch Verstand genug, im letzten Moment einen Rückzieher zu machen. Ich hätte dem jungen Mann nur geschadet und wäre ihn womöglich nicht mehr losgeworden. Der moralische Kater plagte mich zwei Tage lang.
Zum Glück verhinderte die Restaurantgründung jeden Müßiggang. Das Personal war inzwischen fast komplett. Die Kaltmamsell und zwei Kellnerinnen, die vorzeiten im Chez Monique gearbeitet hatten, wollten ihren jetzigen Job aufgeben und zu Monika zurückkehren, obwohl sie ihnen erklärt hatte, dass ihr neues Restaurant ein ganz anderes Konzept haben würde. Eines Abends, während wir Griffe an die Geschirrschränke schraubten, dachten wir wieder einmal über einen passenden Namen nach.
«Das Restaurant kann doch nicht für immer namenlos bleiben», stöhnte ich, da wir uns gegenseitig mit miserablen Vorschlägen überboten. Monika hielt mitten in der Bewegung inne.
«Namenlos … Das wäre eigentlich ein ganz
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