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Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Titel: Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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diktiert.
    Ich hatte oft überlegt, ob sich meine Eltern geliebt hatten. Dass ich mich überraschend angekündigt hatte, war der Hauptgrund für ihre Heirat gewesen. Mir war nicht klar, weshalb sie nicht verhütet hatten. War das Kondom geplatzt, oder war meine Mutter zu schüchtern gewesen, sich die Pille verschreiben zu lassen? Oder hatte mein Vater, dieses Schwein, meine Mutter genommen, ohne an die Folgen zu denken? Immerhin hatte er die Frau, die er geschwängert hatte, geheiratet. Zuerst geheiratet, dann getötet.
    Ich wusste sehr wenig über meine Eltern. Mütterlicherseits hatte ich außer Onkel Jari keine engen Verwandten gehabt, meine Großmutter war ein Einzelkind gewesen, und die Brüder meines Großvaters waren im Krieg gefallen. Zu den Vettern und Cousinen zweiten Grades hatte ich keine Verbindung. Väterlicherseits gab es mehr Verwandte, doch sie wollten nichts von mir wissen. Die Tat meines Vaters hatte Schande über sie gebracht, und nach dem, was ich heimlich mit angehört hatte, bezweifelte mein Großvater, dass ich das Kind seines Sohnes war. Meine Mutter sei fremdgegangen, nur deshalb habe mein Vater sie getötet. Das hatte Seppo Holopainen meinem Onkel einmal auf der Terrasse vor der Sauna an den Kopf geworfen, und ich hatte gelauscht. Ich wäre nur zu gern das Kind eines anderen Mannes gewesen, aber die alten Fotos verrieten unbarmherzig, dass ich meinem Vater von Jahr zu Jahr ähnlicher sah. Seine Mutter hatte mir schließlich ein kleines Erbe vermacht, also hatte zumindest sie an unsere Verwandtschaft geglaubt, obwohl wir uns seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatten.
    Die Möwen kreischten laut über dem Meer. In Italien hätte man um diese Jahreszeit bestimmt noch im T-Shirt joggen können. Hier musste ich dagegen ständig in Bewegung bleiben, damit der Schweiß nicht im kalten Oktoberwind trocknete. Wer konnte mir etwas über den Freundeskreis meiner Mutter erzählen? Das Album mit den Fotos von ihrer Beerdigung lag immer noch in Hevonpersiinsaari. Vielleicht sollte ich die Hakkarainens bitten, es mir zu schicken. Onkel Jari hatte die Angewohnheit gehabt, die Namen der Abgebildeten auf die Rückseite der Fotos zu schreiben. Die Bilder steckten in Plastiktaschen, aus denen man sie leicht herausnehmen konnte. Bisher hatte ich sie mir erst ein oder zwei Mal angesehen, denn ich erinnerte mich ohnehin gut genug an die Beerdigung.
    Am Abend ging Monika mit Petter ins Filmarchiv, wo ein französischer Kunstfilm gezeigt wurde. Mich interessierte so etwas nicht. Ich spielte mit dem Gedanken, mir einen Actionfilm anzusehen, lief dann aber doch nur ziellos durch die Innenstadt und betrachtete die Schaufenster. Nichts von dem, was dort ausgestellt war, brauchte ich. Die Auslagen von Juweliergeschäften hatten mich noch nie angezogen, doch als mein Blick zufällig auf eine Vitrine mit Ringen fiel, blieb ich stehen. Ein schmaler Reif mit drei blutroten Rubinen. Er war jedoch nicht von derselben Art wie der Ring, den ich in Davids verschlossener Schublade gefunden hatte. Außerdem hatte das Geschäft bereits geschlossen. Und David hatte den Ring vermutlich nicht in Finnland gekauft, denn es gab keinerlei Hinweis darauf, dass er irgendwann in das Land zurückgekehrt war, das er vor fast zwei Jahren auf Usko Syrjänens Yacht
I believe
verlassen hatte.
    Ein Teil von mir wollte glauben, dass David vorgehabt hatte, mit dem Rubinring um meine Hand anzuhalten, doch meine zynische Hälfte murrte, er führe mich nur an der Nase herum. Warum hatte er mir all diese Rätsel hinterlassen? Warum interessierte sich David eigentlich für Kopparnäs und für Syrjänens Pläne? Oder war die Karte nur eine romantische Erinnerung an den Ort, wo wir uns zum ersten Mal geliebt hatten? Mein zynisches Ich konnte das nicht glauben, es musste noch etwas anderes dahinterstecken. David lag daran, dass ich beobachtete, was in Kopparnäs geschah. Ich wollte nicht seine Marionette sein, das war einfach nur demütigend. «Liebe Hilja, ich kenne dich zu gut.» Ich wollte nicht, dass irgendwer meine Reaktionen vorhersehen konnte oder mich gar lenkte. Über mich herrschte ich ganz allein.
    Da mir allmählich kalt wurde, ging ich in die Atelier-Bar im Hotel Torni und bestellte mir einen Kakao mit Rum. Bald darauf war mir zwar äußerlich warm, doch dafür fror ich von innen, denn mir fiel ein, dass ich hier einmal mit David gesessen hatte. Wie viele Plätze hatte dieser Mann mir verdorben? Ich saß an einem Zweiertisch am Fenster, mit

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