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Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Titel: Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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der ihr Gesicht verbarg. Mein Onkel trug einen schwarzen Anzug mit weiter Hose und breitem Revers. Bei meiner Abiturfeier hatte er einen moderneren, hellgrauen Anzug angehabt. Meine von schwarzen Bändern gehaltenen Rattenschwänze standen vom Kopf ab, meine Haare waren kaum lang genug für Zöpfe gewesen. Ich hatte Lackschuhe an und ging auf den Zehenspitzen. Onkel Jari hielt mich an der Hand, in der anderen Hand trug er ein Gebinde aus rosa und weißen Rosen. Er hatte mir eine einzelne Rose gegeben, die ich auf den Sarg legen sollte. Ich erinnerte mich an die Welle von Schluchzern, die ich hinter mir gehört hatte, während ich die Rose niederlegte und meiner Mutter im Sarg zuwinkte.
    Aber es ging ja nicht um Fotos von mir, sondern von Mutters Freundinnen! Ich blätterte weiter. Auch die Hakkarainens waren auf der Beerdigung gewesen; die mürrischen Teenager neben ihnen waren ihre Kinder. Dagegen war mir der junge Mann, der offenbar ohne Begleitung gekommen war, völlig unbekannt. Ich nahm das Foto aus der Plastikhülle. Auf der Rückseite stand «Kari Suurluoto, Keijos Vetter». Der Mann hatte noch Aknenarben im Gesicht, seine feinen blonden Haare waren dauergewellt, wie es damals Mode war, und der offenbar geliehene Anzug war ihm zu groß. Kari Suurluoto … Also war er mit meinem Vater verwandt. Er war einige Jahre jünger als dieser, aber vielleicht hatten sich die Cousins dennoch nahegestanden. Oder war Kari Suurluoto in die hübsche Frau seines Vaters verliebt gewesen?
    Auf der nächsten Seite fand ich Mutters Freundinnen. Tarja Kinnunen, Päivi Väänänen und Tiina Turpeinen. Alle drei sahen verweint aus. Tiinas Dallas-Frisur war so stark toupiert, dass sie unter dem Pony eine Limoflasche hätte verstecken können. Waren die drei mit meiner Mutter zur Schule gegangen, oder hatten sie sich erst beim Studium kennengelernt? Sie standen auf allen Fotos nebeneinander. Wenn ich eine von ihnen fand, würde sie mich vielleicht zu den anderen führen. Allerdings musste ich damit rechnen, dass inzwischen alle drei mindestens einmal ihren Familiennamen geändert hatten.
    Sollte ich eine dem Andenken meiner Mutter gewidmete Facebook-Seite ins Leben rufen? Ihr Tod lag zwar schon Jahrzehnte zurück, aber möglicherweise bekam ich dennoch einige vernünftige Kontakte. Andererseits musste ich dann damit rechnen, dass sich Keijo Kurkimäki ebenfalls dort melden würde. In der psychiatrischen Anstalt für Gefangene wurden die Kontakte der Patienten zur Außenwelt eingeschränkt, aber er hatte es trotzdem einige Male geschafft, mich anzurufen. Inzwischen waren alle meine Telefonnummern geheim.
    Eine Facebook-Seite würde natürlich auch Leute anziehen, die sich für authentische Mordfälle interessierten, es gab erstaunlich viele von diesen Freaks. Auf keinen Fall würde ich meine persönlichen Kontaktdaten angeben. Mike Virtue hatte uns oft genug zur Vorsicht bei der Verbreitung persönlicher Informationen im Internet gemahnt, dabei waren Facebook und Twitter noch gar nicht erfunden, als ich die Sicherheitsakademie Queens besuchte, und nur die allermodernsten Menschen hatten eigene Webseiten gehabt. Die Sicherheitsakademie hatte natürlich eine Homepage, doch sie gab keine Auskunft über die Schüler oder die Lehrkräfte, und bei Facebook suchte man Mike vergeblich.
    Auf der letzten Seite des Albums befanden sich zwei Bilder. Das eine war bei der Gedenkfeier aufgenommen worden. Es zeigte einen Tisch, auf dem hellrote Rosen und ein von Kerzen eingerahmtes Foto meiner Mutter standen. Darunter war dasselbe Foto im Original. Onkel Jari hatte es an meinem dritten Geburtstag aufgenommen. Die lächelnde blonde Frau hatte einen gewellten Pony und die makellose Haut einer Porzellanpuppe. An ihrem Hals hing eine Kette mit einem goldenen Anhänger: Herz, Kreuz und Anker. Die rechte Hand war ebenfalls zu sehen, am Ringfinger steckte ein schmaler goldener Reif mit drei roten Steinen, offenbar Rubinen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, wieso mir der Ring bekannt vorkam.
    Ungestüm rannte ich in mein Zimmer. Ich hatte Davids USB -Stick, den Ring und das Kaleidoskop in meinem Waffenschrank versteckt. In der Aufregung bekam ich das Schloss kaum auf und hatte das Gefühl, zu ersticken. David war nie in Hevonpersiinsaari gewesen, er hatte dieses Foto nie gesehen – er konnte es nicht gesehen haben!
    Dennoch glich der Ring, den ich in Montemassi gefunden hatte, haargenau dem, den meine Mutter auf dem Foto trug. Wie war das

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