Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
möglich?
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Ich hatte nie darüber nachgedacht, was aus dem Schmuck meiner Mutter geworden war. Mein Vater hatte ihr den linken Ringfinger abgeschnitten, an dem sie den Verlobungs- und den Trauring trug. Doch der Ring mit den drei Rubinen war keiner von beiden. Ich erinnerte mich, den Trauring mit dem funkelnden Stein, den ich als kleines Mädchen so bewundert hatte, in der Blutlache gesehen zu haben. Doch mit dem Rubinring verband ich keinerlei Erinnerung. Ich versuchte, das Bild des blutigen Fingers aus dem Gedächtnis zu verdrängen, indem ich mich auf den Ring konzentrierte, den meine Mutter auf dem Foto trug. Woher hatte sie ihn bekommen? War er identisch mit dem, der einen feurigen Streifen in meinen Finger zu brennen schien? Der Ring aus Montemassi war nicht graviert, aber ein professioneller Goldschmied würde mir wohl sagen können, ob irgendwann einmal eine Gravur abgeschliffen worden war, vielleicht sogar, wo er gekauft wurde. Es konnte kein Zufall sein, dass ich in Davids Besitz ein identisches Pendant gefunden hatte. Wer konnte etwas über Mutters Schmuck wissen? Die Einzige, die mir einfiel, war Maija Hakkarainen. Konnte ich sie jetzt noch anrufen, um halb zehn? Landwirte gingen früh schlafen, weil sie schon um fünf Uhr zum Melken aufstanden. Ich musste wohl bis zum Morgen warten.
Ich sah im Online-Telefonbuch nach, ob dort zufällig die Namen der Personen registriert waren, die ich auf den Fotos entdeckt hatte. Allein im Hauptstadtgebiet gab es eine Päivi Väänänen und eine Tiina Turpeinen, doch auch sie wollte ich nicht so spät am Abend anrufen, zumal sie womöglich nur Namensvetterinnen der Frauen waren. Und was sollte ich überhaupt sagen? Guten Tag, haben Sie Ende der siebziger Jahre in Tuusniemi das Gymnasium besucht? Erinnern Sie sich an Anneli Karttunen? Ich bin ihre Tochter, wir sind uns bei der Beerdigung meiner Mutter begegnet, ich war damals vier.
Lügen war mir immer leichtgefallen, mit der Wahrheit tat ich mich weitaus schwerer. Bei der Auskunft bekam ich auch die Kontaktdaten von Kari Suurluoto: die Nummern von Festanschluss und Handy und die Adresse in Tuomarila, einem Stadtteil von Espoo. Suurluoto war demnach weder Polizist, noch hatte er irgendeinen anderen Grund, seine Anschrift geheim zu halten. Ich googelte ihn, bekam aber keine weiteren Treffer außer einer Reihe von Platzierungen in den Ergebnislisten des Finlandia-Skilanglaufs. Er war offenbar fit, denn er schaffte die volle Strecke immer noch in dreieinhalb Stunden, obwohl er schon fast fünfzig sein musste.
Die Tür ging, Monika kam nach Hause. Für den Abend gab es nicht allzu viele Tischreservierungen, und der Restaurantbetrieb lief reibungslos, sodass wir nicht permanent anwesend zu sein brauchten. Hastig steckte ich den Ring in die Tasche und brachte das Album in mein Zimmer. Vielleicht würde ich es Monika irgendwann einmal zeigen, aber nicht jetzt, denn sie würde sofort merken, wie sehr mich die Bilder aufgewühlt hatten.
«Magst du Johannisbeerblättertee und Kartoffelpiroggen? Maija Hakkarainen hat mir ein Paket geschickt.» Wir hatten die Hakkarainens natürlich zur Eröffnung des Sans Nom eingeladen, aber sie konnten ihr Vieh nicht einfach allein lassen. Maija hatte allerdings versprochen, sie würden sich das Restaurant ansehen, sobald sie eine Urlaubsvertretung bekämen. Onkel Jari und ich hatten ein paarmal die Kühe gemolken, als die Hakkarainens zu Beerdigungen oder Konfirmationen eingeladen waren. Inzwischen waren die Melkmaschinen allerdings so kompliziert geworden, dass man einige Zeit brauchte, um den Umgang mit ihnen zu erlernen.
«Phantastisch», sagte Monika und griff nach einer Pirogge. Gastronomen kamen bekanntlich nicht dazu, selbst etwas zu essen. Ich trank drei Tassen Tee, hörte mir Monikas Bericht über die Ereignisse des Abends an und versuchte, innerlich zur Ruhe zu kommen. Dennoch träumte ich in der Nacht, ich wäre in einen Sarg gesperrt, der ins All geschickt werden sollte. Ich wusste, dass ich ersticken würde, sobald der Sarg aus der Atmosphäre geschleudert wurde. Als ich aus dem Schlaf aufschreckte, sah ich, dass ich eine SMS bekommen hatte. Von einem unbekannten Anschluss. Sie bestand aus einem bloßen Fragezeichen ohne Text. Vielleicht war sie gar nicht für mich bestimmt und nur versehentlich auf meinem Handy gelandet. Dennoch steigerte sie meine Unruhe, und es dauerte lange, bis ich das Sandmännchen zu fassen bekam, obwohl ich ihm nachhetzte.
Am Samstag sollte ich die
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