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Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Titel: Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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sympathischen jungen Maler begegnet war, dem sie vor zwei Jahren das Luchsbild abgekauft hatte. Natürlich hatte ich ihr damals nicht verraten, dass Trankow die Abgeordnete Helena Lehmusvuo entführt hatte, und das würde ich auch jetzt nicht tun. Ich erwähnte lediglich, dass Trankow bei der Eröffnung des Sans Nom aufgetaucht war und ich ihn aufgrund von Frau Voutilainens Zeichnung und anhand seines Namens erkannt hatte.
    «Es geht ihm gut, er braucht nicht mehr bei der Müllabfuhr zu jobben. Er hat sein Architekturstudium fast abgeschlossen und arbeitet jetzt für Usko Syrjänens Baufirma. Guck mal, was für eine schicke Visitenkarte er hat.»
    Ich wusste, dass ich eine Absicherung brauchte, falls ich mich mit Trankow traf. Frau Voutilainen war dafür genau die Richtige, vorausgesetzt, dass ich den richtigen Weg fand, sie einzuspannen. Sie würde Trankow wiedererkennen und wäre notfalls in der Lage, sein Gesicht für die Polizei zu zeichnen. Zudem würde jemand, der behauptete, auf dem Pfad der Tugend zu wandeln, einer über siebzigjährigen Frau wohl keinen Schaden zufügen, selbst wenn er davon träumte,
mir
wer weiß was anzutun.
    «Das hört man gern! Und wie steht es mit deinen Herzensangelegenheiten? Ich hatte schon gehofft, bald die Hochzeitsglocken läuten zu hören, als du im Frühjahr nach Italien geflogen bist.»
    Ich lächelte gequält. Darauf hatte ich wohl auch gehofft.
    «Manchmal kommt es anders, als man denkt, und der Mann ist ein wenig … Na, jedenfalls nicht der ideale Ehemann. Eigentlich habe ich es auch gar nicht so eilig mit dem Heiraten. Ich mag mein Leben, so wie es ist.»
    «Könnte es sein, dass du Frauen lieber magst als Männer?», fragte die alte Dame so gleichmütig, als hätte sie sich erkundigt, ob ich lieber schwarzen oder grünen Tee trank. Beinahe hätte ich mich an der Honiglimonade verschluckt. Auf Rentnerausflügen hatte Frau Voutilainen dem Vernehmen nach gelegentlich heftige Debatten ausgelöst, weil sie sich abfällig über die Konservativen äußerte, die vor allem Angst hatten, was von ihren eigenen Normen abwich.
    «Vielleicht habe ich die Frau meines Lebens noch nicht gefunden.» Ich bemühte mich vergeblich, unbeschwert zu antworten. «Probiert habe ich auch das. Aber diesen David habe ich geliebt», gestand ich, während ich der jungen Frau mit den Katzentätowierungen zuschaute, die energisch ihre Bahnen schwamm. «Jetzt will ich keinen, und unglücklich bin ich auch nicht», schwindelte ich und nahm noch ein Stück Apfelkuchen.
    Nach dem Schwimmen schaffte ich es gerade noch rechtzeitig zur Post, um mein Paket abzuholen. Ich hatte die Hakkarainens nur um das Album von der Beerdigung meiner Mutter gebeten, doch das Paket war so groß, dass es noch mehr enthalten musste. Als ich es zu Hause auspackte, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Die Hakkarainens hatten offenbar vergessen, dass ich in einem Restaurant arbeitete. Maija hatte Kartoffelpiroggen und Brötchen gebacken, so viele, dass sie für eine Großfamilie gereicht hätten. Außerdem enthielt das Paket Beutel mit getrockneten Steinpilzen und Herbsttrompeten, Johannisbeerblättertee und getrocknetem Dill. Maija hatte eine Karte dazugelegt, auf der sie schrieb, die Blätter seien von den Sträuchern vor unserer Hütte in Hevonpersiinsaari, die ich selbst mit Onkel Jari gepflanzt hatte. Ich machte Wasser heiß und ließ den Tee ziehen.
    Den Einband des Albums schmückte ein Bild von einem Sonnenuntergang über dem Meer, in unwirklich klaren Farben. Die Fotos dagegen begannen nach dreißig Jahren bereits zu verbleichen. Auf der ersten Seite befand sich nur ein Bild, der billige, schlichte Sarg meiner Mutter, auf dem ein Gebinde aus rosa Nelken lag. In meinem Kopf rauschte es, ich wollte diese Bilder nicht betrachten. Auf der folgenden Seite fand ich ein Foto des Pfarrers, der traurig in die Kamera blickte. Ich erinnerte mich noch, wie er mir den Kopf getätschelt und gesagt hatte, meine Mutter sei jetzt im Himmel glücklich und eines Tages würde auch ich zu ihr kommen, wenn ich immer brav sei. Auf meine Frage, wann ich zu meiner Mama dürfe, hatte er geantwortet, das werde mindestens siebzig Jahre dauern, es hätte keine Eile. Bis zu meinem zehnten Lebensjahr hatte ich geglaubt, der Pfarrer könne tatsächlich vorhersagen, wie lange ich zu leben hatte.
    Auf dem nächsten Bild ging ich zwischen Oma und Onkel Jari durch den Mittelgang auf den Sarg zu. An Omas Hut war ein Trauerschleier befestigt,

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