Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
Erzeuger genannt hatte, und versuchte seine Gunst zu gewinnen. Das gelang ihm wohl auch, denn irgendwann wohnte er bei Paskewitsch in Moskau und besuchte die Fachschule für Architektur. Womöglich hat er anfangs geglaubt, bei den Baugeschäften seines Vaters würden Fachkräfte dieser Art gebraucht. Er hat die Ausbildung abgebrochen, als Paskewitsch ihn für andersgeartete Tätigkeiten einsetzte. Du hast seinem Vater gezeigt, dass der Sohnemann seinen Aufgaben nicht gewachsen war. Glaubst du nicht auch, dass Trankow auf Rache sinnt?» Laitio schlug das Fenster zu. Bei der Bewegung klaffte das Hemd wieder auf, und auch der dritte Knopf sprang ab.
Ich las ihn vom Boden auf und reichte ihn Laitio. «Knöpfe annähen ist leicht. Das kann sogar ich», bemerkte ich. Laitio schnaubte nur und steckte den Knopf in die Hosentasche.
«Ich bin erledigt», sagte er dann. «Was meine Karriere betrifft, meine ich. Aber vielleicht ist das gut so. Dann kann ich meine eigenen Ermittlungen anstellen, ohne Sorge, gekündigt zu werden, das kommt sowieso. Am besten setze ich mich mit ein paar zahmen Reportern in Verbindung. Vor der Öffentlichkeit haben meine Chefs die allergrößte Angst. Wenn man in unserem Land erst einmal als Tunichtgut abgestempelt ist, wird man das Image nicht so leicht los. Bleib du ruhig in deinem Restaurant und lass mich machen. Und vergiss sowohl Stahl als auch Trankow. Dieser Finnlandschwede ist doch ein netter Mann, wie heißt er noch gleich …»
«Petter?»
«Genau. Er mag dich sehr, hat er gesagt.»
«Fang bloß nicht an, meine Männergeschichten zu organisieren, Laitio! Das kann ich ganz allein.»
«In Schwierigkeiten bringen kannst du dich, das ist alles, mein Mädchen.»
Auf solche Bemerkungen konnte ich verzichten, also verabschiedete ich mich. Der Zigarrengeruch hing noch lange an mir. Ich ging in die Yrjönkatu, holte frische Wäsche, packte den Abholschein für ein Paket, das ich von der Post holen musste, und Trankows Visitenkarte ein und begab mich zum Schwimmen ins Nachbargebäude. Eigentlich schwamm ich nicht gern drinnen, aber die Halle in der Yrjönkatu ist eine der schönsten in der Welt, und außerdem war ich dort mit Frau Voutilainen verabredet. Sie war Stammkundin, war schon in den vierziger Jahren als kleines Mädchen dort geschwommen. Wir nahmen eine Ruhekabine im ersten Stock und bestellten Honiglimonade. Frau Voutilainen hatte Apfelkuchen mitgebracht.
Wir trugen keine Badeanzüge. Ich hatte die Dinger immer schon gehasst, und Frau Voutilainen fand die vor etwa zehn Jahren eingeführte Neuerung, die es allen und nicht wie früher nur Invaliden erlaubte, im Badeanzug zu schwimmen, ausgesprochen dumm.
«Uns wird die ganze Zeit eine falsche Nacktheit aufgedrängt, junge, schöne Menschen, die sich entblößen. Wir kommen doch alle unbekleidet zur Welt. Aber die Falten und Wülste, die wir irgendwann kriegen, soll niemand sehen. Als müsse man sie hinter einer geistigen Burkha verbergen, und nur perfekte Körper dürften sichtbar sein. Das hier ist eine der wenigen Oasen für uns Hängebusige, hier sind alle gleich schön oder gleich hässlich», hatte sie sich ereifert, als sie mich zum ersten Mal in die Schwimmhalle mitgenommen hatte.
Ich überlegte, wie sich die zehnjährige Hilja aus Hevonpersiinsaari hier gefühlt hätte. Die Atmosphäre eines antiken Bades, die Säulen und Gewölbe und die Bewirtung hätten mich damals vollkommen sprachlos gemacht und erfüllten mich auch jetzt noch mit Bewunderung. Mike Virtue wäre natürlich entsetzt gewesen; Gerüchten zufolge trug er seine kugelfeste Weste sogar beim Schwimmen.
Frau Voutilainens Brüste waren kleine, leere Beutel, von Schwangerschaftsstreifen gezeichnet wie die Innenseiten ihrer Schenkel. An den Beinen hatten Krampfaderoperationen Spuren hinterlassen, und über den Bauch zog sich die breite Narbe von einem Kaiserschnitt, der Ende der 1950 er Jahre gemacht worden war. In der Sauna saß ein etwa zwanzigjähriges, am ganzen Körper tätowiertes Mädchen neben uns, und Frau Voutilainen erkundigte sich interessiert nach den Motiven – schließlich war bildende Kunst ihr Steckenpferd. Die meisten Tätowierungen zeigten verschiedene Katzen, auf dem rechten Schultermuskel prangte ein Luchs. Ich beteiligte mich nicht an der Unterhaltung, sondern hörte schweigend zu und genoss das Gefühl, genau am richtigen Ort zu sein.
Als wir nach dem Schwimmen unsere Limonade tranken, erzählte ich Frau Voutilainen, dass ich dem
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