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Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Titel: Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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ihm noch nicht gelungen, meine Telefonnummer ausfindig zu machen, sonst hätte er nicht schon wieder im Restaurant auftauchen müssen.
    «Hast du ihm gesagt, dass ich hier bin?»
    «Hätte ich das nicht tun dürfen? Er ist so süß … Ist er dein Freund?»
    Helinä stand Trankow altersmäßig näher als ich.
    «Du kannst ihn gern haben. Okay, ich komme. Was trinkt er?»
    «Bloody Mary.»
    Das Sans Nom hatte auf Anhieb volles Ausschankrecht bekommen, vor allem dank Monikas gutem Ruf. Wenige Gäste kamen nur, um zu trinken.
    Der Saal war voll, dennoch waren das Stimmengewirr und die Hintergrundmusik nur gedämpft zu hören. Im Sans Nom wurden ausschließlich klassische Musik und traditioneller Jazz gespielt, zur Mittagszeit manchmal auch Volksmusik aus Mosambik. Ich hatte ein paarmal mit dem Gedanken geliebäugelt, heimlich eine Platte der Band Eläkeläiset aufzulegen – vielleicht an Monikas freiem Tag oder bei besonders anstrengenden Gästen.
    Heute trug Trankow Freizeitkleidung: eine hellblaue, mit hellbraunem Leder verzierte Jeans, ein weißes Hemd und hellbraune Wanderschuhe. Die farblich abgestimmte Wildlederjacke hatte er über die Sessellehne gelegt. Als er mich sah, stand er auf, fasste mich an den Schultern und küsste mich zweimal auf die Wangen. Seine Augen strahlten in so tiefem Blau, dass mir der Verdacht kam, er verwende farbige Kontaktlinsen. Seine Wimpern waren dunkel und dicht wie auf den retuschierten Fotos einer Mascara-Reklame.
    «Hilja! Ich musste einfach vorbeikommen, weil du dich nicht gemeldet hast. Ich brenne darauf, dich zu malen, habe auch endlich die passenden Requisiten gefunden. Wann kommst du?»
    Ein hartnäckiger Bursche, und er roch gut. Ich schob Laitios Warnung beiseite. War Trankow der Bote des Sensenmannes? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
    «Nächsten Donnerstag habe ich frei. Passt es dann? Wie komme ich nach Långvik?» Ich wusste nicht, ob ich den Firmenwagen nehmen konnte.
    «Ich hole dich ab.»
    «Mit dem protzigen Jeep, der sich nicht an die Verkehrsregeln zu halten braucht?»
    «Der gehört Syrjänen. Ich habe einen eigenen Wagen. Wann und wo?»
    Obwohl ich wusste, dass mittags nicht weniger Gefahren drohten als zu jeder anderen Tageszeit, bestellte ich Trankow für elf Uhr vor den Haupteingang des Hotels Torni. Ich konnte förmlich hören, wie Laitio mich anbrüllen würde, wenn er von der Verabredung wüsste, und auch Monika sollte nichts davon erfahren. Frau Voutilainen musste als Absicherung genügen.
    «Möchtest du etwas essen?», fragte ich. «Die Barschfilets aus Kaavi sind hervorragend.»
    Trankow schüttelte den Kopf. Er war stehen geblieben, gab sich als Gentleman, nahm aber sein Glas vom Beistelltisch und schlürfte seinen Drink. Mit den vom Tomatensaft gesprenkelten Lippen sah er aus wie ein Nebendarsteller in einem viertklassigen Vampirfilm, und es fiel mir schwer, ihn ernst zu nehmen. Ich sagte, ich müsse wieder an die Arbeit. Allerdings war ich nicht schnell genug, denn Trankow fasste meine Hand und führte sie an die Lippen.
    Es war kein ganz unangenehmes Gefühl. Ich hatte seit einem halben Jahr keinen Sex mehr gehabt, viel zu lange. Sollte ich in irgendeiner Kneipe Erleichterung suchen, um gegen Trankows Verführungskünste immun zu sein? Waren brave Beamte, die ihre Trauringe zu Hause ließen, an einem Sonntagabend unterwegs? Wenn ich Petter um Kumpelsex bat, würde es dabei bleiben? Sicher nicht. Ich verbrachte den Rest des Abends damit, an die pickligsten Jungen in meiner früheren Schulklasse zu denken, und rief mir in meiner Verzweiflung schließlich Seppo Holopainen aus Kaavi in Erinnerung, der einmal versucht hatte, mich zu vergewaltigen. Da verschwand endlich auch der letzte Rest von Lust.
    Am Montag wurde ich schon um sechs Uhr wach. Es war noch dunkel, die Straßenlampen brannten. Der Horizont war von meinem Fenster aus nicht zu sehen, aber das Stückchen Himmel, das ich erblickte, war wolkenlos und versprach einen sonnigen Tag. Ich trank nur eine Tasse Milchkaffee, bevor ich zum Joggen aufbrach. Wieder lief ich an den Ufern Helsinkis entlang und beobachtete dabei, wie die Stadt in Gang kam: die Autoschlangen wuchsen, in den Fenstern gingen Lichter an, um bald darauf wieder zu verlöschen, während die Sonne immer höher stieg. Alte Damen tauschten an den Straßenecken Neuigkeiten aus, Väter brachten ihre kreischenden Sprösslinge zur Kita. Hatte einer von diesen Leuten einen Mörder in der Familie, hatte jemand auf dem Sofa

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