Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
seines Freundes einen Toten gefunden? Diese Erlebnisse hatten mich kein bisschen edler gemacht.
Ich briet Eier und Bohnen, als brauchte ich Unmengen von Energie, bevor ich mit Kari Suurluoto sprechen konnte. Wieder meldete er sich sofort, er hatte meinen Anruf erwartet.
«Hallo, Hilja. Entschuldige, dass ich gestern so kurz angebunden war. Ich hatte unsere Taika und drei andere Mädchen von der Reitbahn abgeholt und wollte nicht vor ihren Ohren über deinen Vater reden. Für Dreizehnjährige ist die Geschichte zu heftig.»
«Warst du mit meinem Vater eng befreundet?»
«Befreundet … Wie man es nimmt. Wir waren die einzigen Jungen in der Verwandtschaft, ich habe zwei Schwestern, genau wie dein Vater. Aber zwischen uns liegt ein Altersunterschied von sechs Jahren, und bei jungen Leuten ist das viel. Ich habe meinen Vetter Keijo bewundert, denke ich. Und manchmal auch gefürchtet.»
«Gefürchtet? Warum?»
«Ich habe mich immer gefürchtet, wenn Keijo es darauf anlegte. Was willst du eigentlich über ihn wissen?»
«Genau solche Sachen. Hast du von Anfang an gewusst, dass er eines Tages zum Mörder wird?»
Wieder langes Schweigen. Ich hörte ein mehrfaches Klicken, als ob Kari Suurluoto seinen Computer ein- oder ausschaltete. Der einzige Baum im Innenhof warf seinen Schatten auf das Wohnzimmerfenster. Die Umrisse der wenigen noch nicht abgefallenen Blätter zeichneten sich deutlich ab.
«Wie alt bist du jetzt? Du musst schon über dreißig sein.»
«Ja, bin ich. Und ausgebildete Leibwächterin. Du brauchst mich also nicht vor der Brutalität der Welt zu schützen.»
Kari Suurluoto seufzte. «Schützen … Wir können einander nicht schützen und versuchen es trotzdem. Ich spreche nicht über deinen Vater, wenn meine Tochter bei mir ist, obwohl sie seinen Namen natürlich längst gegoogelt hat und haargenau weiß, mit wie vielen Messerstichen er deine Mutter getötet hat. Ich verbiete ihr, auf diese Mordseiten zu gehen, aktiviere die Sperren an ihrem Computer, aber die Eltern ihrer Freundinnen nehmen es zum Teil nicht so genau. Sie meinen, die heutigen Jugendlichen wären besonders reif.»
Ich ließ Suurluoto reden. Allmählich kam er zur Sache. Keijo Suurluoto war schon als Junge jähzornig gewesen und hatte eine grausame Ader gehabt. Wenn er wollte, konnte er aber auch sehr nett sein. Da er ganz normal aussah und auch keine besonderen Talente besaß, war er in der Schule nicht gemobbt worden, sondern hatte eher denjenigen, die andere mobbten, Rückendeckung gegeben. Karis ältere Schwestern hatten ihren Vetter nicht leiden können, Kari dagegen hatte seine Selbstsicherheit bewundert, die allerdings bisweilen in Grausamkeit umgeschlagen war.
«Keijo hat mir einmal den Arm ausgekugelt. Wir hatten Ringkampf gespielt. Ich bat ihn, mich loszulassen, aber er lachte nur. Als die Sache aufflog – ich musste zum Arzt –, bedauerte er seine Achtlosigkeit und sagte, er habe nicht daran gedacht, dass ich jünger war. Ich war damals zehn und er sechzehn.
Bei der Armee hat es ihm wohl gefallen, und in dieser Zeit hat er auch deine Mutter kennengelernt. Er hat seinen Eltern großspurig erklärt, jetzt habe er eine Ehefrau gefunden. Es sei die große Liebe. Das hat mich überhaupt nicht gewundert, als ich Anneli zum ersten Mal sah.»
Kari Suurluotos Eltern hatten einen Bauernhof in Juankoski, wo die ganze Verwandtschaft zur Heuernte zusammengekommen war. Bei dieser Gelegenheit hatte Keijo Anneli zum Antrittsbesuch mitgebracht. Anneli, das Mädchen aus Tuusniemi, studierte zwar und wollte Lehrerin werden, doch sie war selbst Bauerstochter und hatte fleißig angepackt, die Heugabel geschwenkt und Kaffee gekocht. Mit ihrer Tatkraft hatte sie ihre künftigen Schwiegereltern für sich eingenommen, die anfangs misstrauisch gewesen waren, weil die junge Frau Lehrerin werden, also in bessere Kreise aufsteigen wollte.
«Meine Eltern hatten nur die Volksschule besucht, Keijos Eltern ebenfalls. Aber Anneli … Anneli war wie ein Engel. Man konnte sich gut vorstellen, dass alle Kinder sie lieben würden. Für mich war sie der erste ernsthafte Schwarm, wobei ich natürlich wusste, dass sie für mich jungen Spund keinen Blick übrighatte und obendrein Keijos Freundin war. Das hinderte mich aber nicht daran, von ihr zu träumen. Und Anneli war nett, sie beachtete auch mich, ließ nicht zu, dass Keijo mich hänselte. Sie war irgendwie … fürsorglich.»
Ein Luchs, hätte ich beinahe gesagt, vielleicht war meine Mutter ein
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