Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
enttäuschen. Syrjänen ist im Moment nicht in Långvik. Er ist nach Tallinn gefahren, um einen potenziellen Geschäftspartner zu treffen. Außer uns ist heute niemand in Långvik. Wir können uns ganz auf die Kunst konzentrieren.»
Kurz hinter der Auffahrt zum äußeren Umgehungsring bog Trankow auf die nach Süden führende Straße ab. Die Kreuzung war unübersichtlich, eine Baustelle erschwerte das Abbiegen, und Trankow fluchte über die Ungeschicklichkeit seines Vormannes. Obwohl ich oft in der Umgebung, in Kirkkonummi und Inkoo, unterwegs gewesen war, kannte ich Långvik bisher noch nicht. Wir passierten den Golfplatz Hirsala, auf dem kein einziger Spieler zu sehen war. Dann durchquerten wir einen unberührten Wald, hier und da blitzten kleine Häusergrüppchen auf. Zwei Reiter kamen uns entgegen und brachten Trankow immerhin dazu, das Tempo auf das erlaubte Limit zu senken.
«Kannst du reiten?», fragte er.
«Ja, auch das habe ich gelernt.» Zuletzt war ich in Kanada geritten, bei einer zehntägigen Exkursion auf das Gestüt der Eltern von Benoit, einem Mitschüler an der Sicherheitsakademie Queens, und nach Montreal, wo wir uns über das Sicherheitssystem der Eishockeyhalle informierten. Auf dem Gestüt hatte mich um vier Uhr nachts das Klingeln meines Handys geweckt. Ich hatte vergessen, es auszuschalten, als hätte ich geahnt, dass gerade in dieser Nacht eine Nachricht kommen würde, die ich hören musste. Ich war rasch aus dem Zimmer auf den Flur und gleich weiter nach draußen unter den Sternenhimmel gegangen, damit meine Zimmergenossen nicht wach wurden. Der Anrufer war Hauptmeister Niilo Rämä von der Polizei in Kuopio. Er hatte mir sein Beileid ausgesprochen und berichtet, dass mein Onkel Jari ertrunken war. Die Leiche hatte wahrscheinlich mehrere Tage im Wasser gelegen, Genaueres würde man erst nach der Obduktion wissen.
Ich erinnerte mich immer noch, wie ich in den Stall gegangen war und mich am Hals von Bessie, meinem Reitpferd vom vorigen Tag, ausgeweint hatte. Wahrscheinlich hatte ich gespürt, dass Tiere besser zu trösten vermochten als die meisten Menschen. Seitdem war Pferdegeruch für mich der Geruch der Trauer. Ich hatte vorzeitig abreisen müssen, hatte nicht einmal meine Sachen in New York geholt, sondern war nach Toronto und von dort direkt nach Helsinki geflogen.
«Das dachte ich mir.» Trankows Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
«Was?»
«Dass du reiten kannst. Ein Pferd wäre auch ein gutes Requisit, aber ich habe leider keins. Na, dafür habe ich etwas Besseres … Etwas, was dir bestimmt gefällt.» Trankow lächelte anzüglich. Ich betrachtete seine langen, schmalen Hände auf dem Lenkrad und musste plötzlich an die deutlich kleineren Hände eines anderen Mannes denken. Für einen Zweimetermann hatte David Stahl merkwürdig kleine Hände und Füße, Schuhgröße vierundvierzig. Trankow war nicht einmal zehn Zentimeter größer als ich, aber er hatte Pianistenfinger. Sie würden mit Leichtigkeit meinen Hals umspannen können, und ich war sicher, dass sie zwar schmal, aber kräftig waren.
Wir bogen auf einen Seitenweg ab und fuhren einige hundert Meter, bis wir eine hohe Backsteinmauer erreichten. Das zweiflüglige Tor war aus Schmiedeeisen. Trankow holte eine Fernbedienung aus der Brusttasche und tippte eine Codenummer ein, worauf die Flügel langsam zur Seite glitten. Drei-zwei-drei-eins, glaubte ich gesehen zu haben. Wenn Trankow meinen neugierigen Blick bemerkt hatte, gab er es nicht zu erkennen. Er fuhr in den Garten, der im französischen Stil angelegt war: niedrige, in Form geschnittene Büsche, Sandwege, einzelne Wacholdersträucher, keine hohen Bäume. Das Hauptgebäude war erst einige Jahre alt, doch man hatte sich große Mühe gegeben, es wie ein Bauwerk aus der Zeit des Neoklassizismus erscheinen zu lassen. Im Garagenflügel fanden sicherlich mindestens drei Autos Platz. Außerdem gab es noch ein separates Nebengebäude mit großen Fenstern. Am Fuß eines kleinen Abhangs schimmerte das Meer, eine Treppe führte zur Ufersauna.
«Gehört das alles Syrjänen?»
«Er hat es nur gemietet. Der Besitzer, irgendein Geschäftsfreund von Syrjänen, ist für drei Jahre in Shanghai. Seine Frau ist Hobbymalerin. Glück für mich.»
Nun tippte Trankow den Code des Garagentors ein; diesmal konnte ich die Kombination nicht erkennen. Am Tor befand sich eine Überwachungskamera, der ich eine Grimasse schnitt, als Trankow den Jaguar in die Garage lenkte. Dort stand bereits
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