Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
erzählt hatte.
«Was für eine Freundin? Was soll das heißen? Was wissen Sie von David? Wo ist er? Sind Sie von der Polizei?» Die Fragen prasselten auf mich nieder wie Hagelkörner.
«Wann haben Sie Ihren Sohn zuletzt gesehen?», fragte ich zurück. Vielleicht war Überraschung jetzt die beste Waffe.
«Vor einem Jahr! Seit dem sechzehnten April haben wir nichts mehr von ihm gehört, abgesehen von dem, was dieser finnische Polizist uns erzählt hat. Sie sind auch Finnin, nicht wahr? Sie sprechen Schwedisch mit finnischem Akzent, und Ihr Name ist finnisch.»
«Ja, ich bin Finnin. Der Polizist, der Sie angerufen hat, war mein Kollege Martti Rytkönen, oder? Er ist nicht mehr für Davids Fall zuständig.»
«Rytkönen, genau. Ein netter Mann. Vorhin haben Sie gesagt, Sie wären eine Freundin von David. Wie war Ihr Name noch gleich?»
«Hilja … Karttunen. Ja, ich bin mit David befreundet, aber außerdem bin ich auch seine Kollegin bei Europol.»
Falls sich Rytkönen noch einmal mit Davids Eltern in Verbindung setzte und von meinem Anruf erfuhr, würde er sofort erraten, wer da telefoniert hatte, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen.
«Haben Sie Neuigkeiten von David? Ist er für den Mord an diesem Italiener ins Gefängnis gekommen, obwohl er ihn nicht begangen hat?» In Eva Stahls Stimme mischten sich Angst und Hoffnung.
«Das wissen wir nicht. Wir haben seine Spur verloren.»
Die Frau wimmerte leise, und ich hätte es ihr am liebsten gleichgetan. Es drängte mich, mit dem Lügen aufzuhören und Eva Stahl zu gestehen, dass auch ich verzweifelt nach Informationen über ihren Sohn suchte. Doch mein Stolz hinderte mich daran.
«Was hat er Ihnen über den Mord an Carlo Dolfini erzählt?»
«Nur, dass er es nicht getan hat. Das stimmt doch?»
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. David hatte mich belogen, also war er wohl auch fähig, seiner Mutter Lügen aufzutischen.
«David sagte, er sei bei Jaan gewesen. Kennen Sie ihn? Jaan Rand, er ist jetzt Mönch in der Toskana und heißt Bruder Gianni. Aber Jaan hat auch nichts mehr von David gehört.»
«Ich habe Jaan vor einiger Zeit getroffen.»
«Man hat Jaan sehr übel mitgespielt, womöglich macht man es mit David genauso! Können Sie ihm nicht helfen?»
Ich hätte zu gern gewusst, worauf Eva Stahl anspielte, doch ich konnte sie nicht fragen. Vielleicht sollte ich mich direkt mit Jaan Rand alias Bruder Gianni in Verbindung setzen.
«Hören Sie … Wenn Sie irgendein Lebenszeichen von David bekommen, melden Sie sich. Das kann für seine Sicherheit sehr wichtig sein.» Ich überlegte, ob ich es wagen sollte, Davids Mutter meine eigene Telefonnummer zu geben. Doch dann hatte ich eine bessere Idee: Ich nannte ihr die Nummer von Teppo Laitio, die ich inzwischen auswendig kannte.
«Unter dieser Nummer meldet sich mein Sekretär, Herr Laitio. Sagen Sie ihm, Sie haben eine Nachricht für Hilja. Denken Sie daran, meinen Vornamen zu nennen, Karttunen allein genügt nicht.»
Eva Stahl wiederholte die Nummer. Es kam mir vor, als ob wir uns beide an den Hörer klammerten wie an einen Strohhalm, obwohl wir uns gegenseitig nicht weiterhelfen konnten.
«David steckt nicht zum ersten Mal in einer schwierigen Lage. Er hat Ihnen natürlich nicht alles erzählen können, und ich darf es auch nicht.» Meine Worte klangen hohl, ihre kraftlose Wärme verflog bereits auf dem Weg nach Tartu.
Ich hatte nie ein Foto von Davids Familie gesehen, er trug keine Bilder bei sich. Vielleicht würde ich im Internet oder bei Facebook welche finden, vielleicht waren Davids Angehörige so unvorsichtig wie die Hälfte der westlichen Welt. Ich hätte gern gewusst, ob Frau Stahl die gleichen Augen hatte wie ihr Sohn. Als sie weitersprach, hörte ich, dass sie den Tränen nahe war.
«Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Dieser Rytkönen hat gesagt, David hätte sowohl gegen seinen Arbeitsvertrag als auch gegen das Gesetz verstoßen und wäre in Gefahr, ins Gefängnis zu kommen. Wo? In Italien?»
«Rytkönen kennt nicht unbedingt alle Fakten. Rufen Sie sofort meinen Sekretär an, wenn Sie etwas von David erfahren! Auf Wiederhören.»
Nachdem ich die Verbindung unterbrochen hatte, stieß ich einen stummen Schrei aus. Dann begannen sich meine Gedanken zu ordnen. War Rytkönen maßlos arrogant oder nur verdammt dumm? Hätte er nicht damit rechnen müssen, dass auch ich mich mit den Stahls in Verbindung setzte?
Es gab nur einen Weg, die Sache zu klären. Ich
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