Der Löwe
das.« Er kam zum Kern der Sache. »Wenn Sie Asad Khalil töten, geht es weniger darum, dass Sie sich und Kate schützen wollen, sondern es handelt sich um reine, schlichte Rache. Auge um Auge. Aber ich bitte Sie zu bedenken, dass eine lebenslange Inhaftierung schlimmer ist als der Tod.« Und er fügte hinzu: »Das gilt für Sie ebenso wie für Khalil.«
»Für Asad Khalil kommt eher die Todesstrafe in Frage«, wandte ich ein. »Aber sowohl Sie als auch ich wissen, dass die Regierung in diesen Fällen niemals die Todesstrafe beantragt, selbst wenn es sich bei dem betreffenden Verbrechen um Massenmord handelt.«
Er dachte darüber nach und erwiderte: »Wir wollen keine Märtyrer für den Islam schaffen. Wir wollen, dass sie verfaulen.«
Und wir wollen die Weltgemeinschaft nicht mit unserer primitiven
Gesetzgebung aufregen, wie zum Beispiel der Todesstrafe. Aber ich wollte mich nicht mit ihm streiten – ich wollte die Sache auf sich beruhen lassen, deshalb sagte ich: »Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen.«
Er glaubte mir nicht und sagte: »Denken Sie an sich, an Kate und an Ihr Land.
»Das mach ich doch immer, Tom.«
»Sie müssen mir versprechen, dass Sie mich unverzüglich verständigen, wenn Sie irgendwelche Kenntnisse über Khalils Aufenthaltsort haben oder erlangen, oder wenn er sich mit Ihnen in Verbindung setzt.«
»Was sollte ich denn sonst machen?«
»Wenn Sie mir das nicht versprechen, bevor Sie gehen, dann verspreche ich Ihnen, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um Sie in Schutzhaft nehmen zu lassen.« Und er fügte hinzu: »Elektronische Fußfessel, Hausarrest, die ganze Prozedur.«
Meiner Meinung nach war das ein Bluff. Er wollte, dass ich draußen unterwegs war und mir ein Sicherungstrupp folgte. Ich war seine beste und vielleicht einzige Chance, Asad Khalil zu schnappen. Anderseits sollte ich ihn nicht auf die Probe stellen, wenn ich frei bleiben wollte.
»John?«
Ich schaute ihm in die Augen und sagte: »Mir ist klar, dass es hier nicht um mich geht. Sie können sich darauf verlassen, dass ich Sie stets auf dem Laufenden halten werde, dass ich mich mit der Task Force absprechen und in der Nähe meines Überwachungsteams bleiben werde, und falls ich irgendwie in persönlichen Kontakt mit dem Verdächtigen kommen sollte, werde ich mich an die Vorschriften bezüglich des Einsatzes tödlicher Gewalt halten.« Und ich fügte hinzu: »Ich verspreche es.«
Das stellte ihn anscheinend zufrieden, denn er sagte: »Gut.« Und er versicherte mir: »Das ist genau das Richtige.«
»Das weiß ich.«
Wir schüttelten uns die Hand darauf, und ich verließ sein Büro. Ich war der Meinung, dass er recht hatte und das, was ich gerade gesagt hatte, richtig war und auch am besten für alle. Rache ist keine Gerechtigkeit.
Aber als ich zu den Aufzügen kam, war ich wieder genau da, wo ich gewesen war, als ich sah, wie Khalil Kate die Kehle durchschnitt.
Es ist ziemlich unheimlich, wenn man einen Moment lang zur Besinnung kommt.
30
I ch fuhr in den 26. Stock hinunter, um ein paar Sachen von meinem Schreibtisch zu holen, aber vorher ging ich zu Gabes Schreibtisch und suchte nach seiner Kopie von dem Ordner über Khalil. In einem Karton, in dem Akten verstaut waren, fand ich den Ordner mit der Aufschrift »Programm zur sozialen Unterstützung der islamischen Gemeinde«.
Ich bemerkte einen zweiten Karton, der mit »Haytham – persönlich« gekennzeichnet war, und öffnete ihn. Es war nicht viel drin – überwiegend Schreibtischutensilien und Pflegemittel –, aber ich sah auch einen Koran auf Arabisch und ein Buch mit arabischen Sprichwörtern auf Englisch, in dem etliche Lesezeichen steckten. Ich schlug eine der gekennzeichneten Seiten auf und las einen unterstrichenen Satz: »Der Tod fürchtet sich vor ihm, denn er hat das Herz eines Löwen.«
Ich legte das Buch in den Karton zurück und sah ein gerahmtes Foto mit zwei lächelnden, attraktiven Frauen, bei denen es sich um Gabes Frau und seine Tochter handeln musste. Ich starrte eine Weile auf das Foto, und mir wurde bewusst, dass diese Frauen tot waren – von Asad Khalil kaltblütig ermordet. Ich konnte seine Motive und seine Begründung für die Morde im Zusammenhang mit dem amerikanischen Bombardement auf seine Heimatstadt verstehen, aber selbst nach zehn Jahren bei der Mordkommission schockierte mich grundloses Morden nach wie vor – Töten aus Spaß. Und die wollten diesen Typ lebend festnehmen?
Ich schloss den Karton und
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