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Der Löwe

Der Löwe

Titel: Der Löwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson DeMille
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ging zu Kates Schreibtisch. Ich
nahm einen roten Marker und schrieb auf ihre Schreibunterlage: Willkommen, mein Schatz – In Liebe, John.
    Ich ging zu meinem Schreibtisch und hörte meine Voicemail ab, überging die meisten und wartete auf eine von Asad Khalil. Ich hatte ihm vor drei Jahren meine Büronummer gegeben und ihn gebeten, mich anzurufen, damit wir zusammenkommen könnten, wenn er wieder in der Stadt war. Mr Khalil hatte nicht angerufen, aber er hatte Kates und Gabes Handys und damit meine sämtlichen Telefonnummern, deshalb war ich davon überzeugt, dass ich von ihm hören würde.
    Ich loggte mich in meinen Computer ein, checkte meine E-Mails und druckte ein paar aus. Außerdem druckte ich zehn Kopien des Fahndungsfotos von Asad Khalil aus, das das NYPD in Umlauf gebracht hatte, und legte sie in Gabes Ordner über Khalil.
    Allmählich kamen die Leute aus der Mittagspause zurück, um festzustellen, wie der Kampf gegen den Terror lief, und ich wollte nicht in Gespräche mit meinen Kollegen verwickelt werden, deshalb schloss ich ab und begab mich zu den Aufzügen. Ich sollte eigentlich in die technische Abteilung gehen und meinen Peilsender und das Mikro abholen, aber ich vergaß es. Ich glaube, ich sollte auch bei Captain Paresi vorbeischauen, aber ich stand ziemlich unter Stress, was mich vergesslich werden ließ.
    Draußen auf der Straße stieg ich in meinen Jeep und fuhr zur Murray Street, um mir den Tatort von Khalils hoffentlich letztem Verbrechen anzusehen. Ich parkte gegenüber dem IRS-Gebäude und stellte mir die Straße an einem Sonntagnachmittag vor. Niemand wohnte in diesem Block, und die Büros waren geschlossen, folglich dürfte es nahezu menschenleer gewesen sein, und Asad hatte diese Straße nicht aufs Geratewohl ausgesucht. Er kannte die Gegend ein bisschen – entweder, weil er schon persönlich hier gewesen war, wahrscheinlicher aber, weil ihn irgendjemand in New York instruiert hatte. Soweit ich es
überblicken konnte, waren diese Morde das Gemeinschaftswerk einer ziemlich kompetenten und gut informierten Gruppe, die in New York lebte und arbeitete, Khalil war ein prominenter Killer; die anderen waren sein Voraustrupp, seine Einweiser und Platzhalter. Nichts deutete darauf hin, dass hier die Spurensicherung am Werk gewesen war – nicht einmal ein mit weißer Kreide gezeichneter Umriss von Amir an der Stelle, wo er zu Boden gestürzt war. Aber ich konnte mir vorstellen, wie Amir, wahrscheinlich verwirrt wegen der Kopfschmerzen, aus seinem Taxi gestiegen und vermutlich hinter Khalil hergetorkelt war, während dieser rasch zur Church Street gelaufen sein dürfte oder in die andere Richtung, zum West Broadway – und ich fragte mich, ob Khalil ihn gesehen hatte und vielleicht einen Moment lang besorgt und ängstlich gewesen war oder vielleicht sogar Reue empfunden hatte. Ich glaube es nicht. Der psychopathische Killer distanziert sich mental von der Person, die er gerade getötet hat. Ich konnte mich in den Kopf eines Mörders hineinversetzen, aber was in seinem Herz vorgeht, habe ich nie verstanden.
    Ich verließ die Murray Street und fuhr in Richtung Uptown, zu meinem Apartment an der East 72 nd Street.
    Mein Apartmentgebäude ist ein Hochhaus aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, unscheinbar, aber ziemlich teuer, wie die meisten Apartments an der Upper East Side. Nach 9/11 fielen die Miet- und Verkaufspreise in Manhattan, wie es in einem Kriegsgebiet üblich ist, aber als es nach etwa sechs Monaten weder einen Anthrax-Anschlag gegeben hatte noch ein Atomsprengsatz hochgegangen war, stiegen sie wieder in aberwitzige Höhen.
    Ich fuhr in mein unterirdisches Parkhaus und zog meine Glock. Normalerweise fahre ich nicht mit der Knarre in der Hand zu dem mir zugeteilten Parkplatz – es sei denn, irgendein Arschloch will ihn mir wegschnappen –, aber in letzter Zeit
hatte sich einiges verändert, und wie ein alter Streifenpolizist mal zu mir sagte: »Man kriegt die Birne am leichtesten weggeballert, wenn man sie im Arsch stecken hat.«
    Ich checkte die Umgebung, parkte und lief zu dem Aufzug, der in die Lobby führte, in der linken Hand den Aktenordner, in der rechten die Glock, die in der Jackentasche verschwand. In der Lobby bemerkte ich augenblicklich einen Typ, der in einem Sessel an der hinteren Wand saß. Er trug Jeans und ein oranges T-Shirt mit einem Logo – ein Lieferant. Auf einem Beistelltisch standen zwei Pizzakartons. Von seinem Sitzplatz aus konnte er die

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