Der Löwe
ein scharfes Messer, das auf dem Tisch lag, und sagte: »Wenn man nicht weiß, wie man damit umgehen muss, kann man niemandem eine tödliche Wunde zufügen. Das Ding bleibt in einem Knochen oder Muskel stecken, und man wird damit höchstens ein paar harmlose Wunden hinterlassen. Dann bekommt der andere die Möglichkeit davonzulaufen oder seinerseits anzugreifen. Selbst eine tiefe Bauchwunde ist nicht tödlich, es sei denn, man trifft eine Arterie. Das Messer ist hauptsächlich für die Kehle geeignet«, erklärte er mir und führte die Klinge an seine Gurgel, »für die Drosselvene hier oder die Halsschlagader. Das ist tödlich, aber es ist ein schwieriger Schnitt, wenn man seinem Gegner gegenübersteht. Man muss von hinten kommen, um ordentlich schneiden zu können. Richtig?« Er
legte das Messer hin und schloss: »Aber der Eispfriem dringt aus jedem Winkel mühelos in den Schädel ein, und er bohrt sich auch durch das Brustbein ins Herz, selbst wenn das Opfer dicke Winterkleidung trägt; er wird auf jeden Fall eine tödliche Wunde verursachen, auch wenn sie nicht auf der Stelle tödlich ist.«
Anscheinend wurde ihm klar, dass er sich von dem Thema hatte mitreißen lassen, denn er rang sich ein Lächeln ab und sagte: »Vielleicht ist das kein gutes Tischgespräch.«
»Ich habe damit angefangen. Sie sind bloß darauf eingegangen. «
»Probieren Sie den Cognac.«
Ich trank aus Höflichkeit einen kleinen Schluck. Boris wirkte trotz seines Alkoholkonsums hellwach – vielleicht sorgte der ernüchternde Gedanke, dass ihm der Tod bestimmt war, dafür, dass seine Sinne scharf blieben. Jedenfalls sagte er zu mir: »Diesmal müssen Sie sich seiner annehmen. Wenn nicht, werden Sie nie wieder einen friedlichen Tag haben.«
»Sie auch nicht.«
Ohne darauf einzugehen, fragte er mich: »Wie ist er beim letzten Mal davongekommen?«
Boris hatte die Hände im Spiel gehabt, deshalb war das nicht einfach eine professionelle oder akademische Frage. Ich erwiderte: »Ich kann Ihnen mit Sicherheit nicht mehr sagen, als Ihre Freunde von der CIA Ihnen vor drei Jahren mitgeteilt haben. Wenn Sie es nicht wissen, dann will man nicht, dass Sie es wissen.«
Und da die CIA mein nächstes Thema war, fragte ich ihn: »Was hat die CIA Ihnen als Grund genannt, warum sie Interesse an Asad Khalil hatte?«
Er schwieg eine Weile, dann erwiderte er: »Man hat mir nur sehr wenig gesagt. Aber ich hatte den Eindruck, dass sich die CIA nicht aus den gleichen Gründen für Khalil interessiert hat wie das FBI.«
»Soll heißen?«
»Das heißt natürlich, dass die CIA Khalil für ihre eigenen Zwecke benutzen wollte.«
»Die da wären?«
Er zuckte die Achseln und sagte: »Wenn Sie es nicht wissen, will man nicht, dass Sie es wissen.«
Wurde höchste Zeit, dass ich ein bisschen Dreck aufwühlte, deshalb entgegnete ich Boris: »Die CIA muss doch wissen, dass Asad Khalil wieder in Amerika ist. Hat Sie also jemand aus Langley angerufen und gesagt: ‚Hey, Boris, Ihr alter Freund ist wieder da und will vermutlich Ihren Kopf in seiner Reisetasche haben. Aber wir werden Sie beschützen?’«
Boris hatte natürlich sofort daran gedacht, als ich ihm mitgeteilt hatte, dass Khalil zurück sei, und er hatte sich seitdem den Kopf darüber zerbrochen. Er schwieg eine Weile, dann sagte er zu mir: »Meine Beziehung zur CIA ist kompliziert. Genau genommen besteht keine, seit man mich zum letzten Mal vernommen hat. Man hat mich ans FBI überstellt, und deswegen sind Sie hier.«
Eigentlich war ich nicht deswegen hier – ich war freischaffend. Was das FBI als Boris’ Kindermädchen anging, so gab es beim postsowjetischen Umsiedlungsprogramm des Öfteren Abstimmungsschwierigkeiten zwischen FBI und CIA. Manchmal handelte es sich einfach um eine Panne, manchmal beruhte es schlichtweg auf Gleichgültigkeit vonseiten des FBI. Boris war für das FBI oder sonst jemanden nichts wert, und er war jetzt auf dem Abstellgleis. Aber wenn irgendjemandem bei CIA oder FBI klarwurde, dass Boris zum Köder für den Löwen geworden war, dann würde man sich auf ihn stürzen. Das Problem mit dem Apparat bestand wie immer in einer fehlerhaften Kommunikation, Brandmauern zwischen den Behörden und einem schlechten Gedächtnis bei den Diensten. Damit blieb es John Corey überlassen, mit Boris Korsakov eingelegte Rote Beete zu
naschen. Beziehungsweise … es wäre möglich, dass FBI und CIA bereits an der Sache dran waren und die Hälfte der Gäste im Svetlana Bundesagenten waren, die
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