Der Löwe
würde, deshalb erwiderte ich: »Hab ich nicht.«
»Wieso nicht?«
Gut nachgehakt. Und ich konnte mir nichts zurechtdeichseln, wollte ihr aber auch nicht die Wahrheit sagen, deshalb zog ich mich auf die letzte Zuflucht aller Ehemänner und Freunde zurück und sagte: »Vertraue mir.«
»Was soll das heißen?«
»Vertraue mir.«
Sie schaute mich an, und nach ein paar Sekunden sagte sie: »Du wirst entweder umkommen oder im Gefängnis landen.«
»Weder noch.«
»Hast du Dick Kearns angerufen, so wie immer, wenn du das FBI umgehen willst?«
Ich antwortete nicht.
Wir gingen auf Blickkontakt, und sie sagte: »Erzähl mir von Boris.«
Ich holte tief Luft, erzählte ihr von meiner Fahrt nach Brighton Beach und zum Svetlana und ließ nichts aus – mit Ausnahme von Veronika. Ich schloss mit: »Boris hat mich überredet, ihm eine Woche Zeit zu lassen, und ich habe mich dazu bereit erklärt. Und jetzt will ich, dass du das Gleiche machst.« Und ich fügte hinzu: »Er lässt dir Grüße bestellen.«
Sie verarbeitete all das in Sekundenschnelle. »Bist du verrückt? «, sagte sie.
»Ja, aber das spielt keine Rolle.«
Sie runzelte schweigend die Stirn, dann sagte sie: »Das habe ich nicht gehört.«
Ich nickte.
»Ruf Tom an«, riet sie mir.
Ich stand auf, beugte mich über sie, und sie nahm meinen Kopf in beide Hände und gab mir einen langen, innigen Kuss. »Ich weiß, dass du heute Nacht nach Khalil Ausschau hältst«, sagte sie. »Sei vorsichtig. Bitte. Wir haben noch ein langes Leben vor uns.«
»Das weiß ich.« Ich drückte ihre Hand und sagte: »Ich rufe dich später an.«
Als ich wieder in meinem Apartment war, brachte ich den Rest des Nachmittags mit Papierkram zu.
Ich sprach noch einmal mit Paresi, der nicht viel Neues hatte, außer: »Alle sind wegen heute Nacht aufgedreht.«
»Wir sollten nicht zu aufgeregt sein.«
»Yeah … aber wenigstens unternehmen wir etwas – und reagieren nicht nur.«
»Richtig. Angriff ist die beste Verteidigung.«
Mir fiel auf, dass Tom Walsh mich nicht anrief, und ich nahm an, dass er sich von mir beziehungsweise dieser Unternehmung distanzieren wollte, für den Fall, dass sie in die Hose ging. Wenn ich Khalil heute Nacht allerdings drankriegen sollte, wartete Walsh wahrscheinlich in seinem Apartment, während ein Auto draußen bereitstand, damit er den Augenblick des Triumphs mit mir teilen konnte.
Ich sagte zu Paresi: »Wenn heute Nacht alles gutgeht, sehe ich Tom wahrscheinlich mit seinem Fotografen im Park.«
Paresi ging nicht darauf ein und sagte stattdessen: »Viel Glück und Weidmannsheil.«
Um fünf Uhr nachmittags reinigte ich meine Glock und lud drei Ersatzmagazine mit 9 mm Patronen. Außerdem reinigte ich meine Freizeitknarre, einen alten 38er Smith & Wesson Police Special. Hochleistungsautomatiks wie die Glock klemmen manchmal, und auch wenn ich noch nie eine Ladehemmung hatte, konnte so was vorkommen, deshalb sollte die zweite Knarre ein simpler Revolver sein, bei dem es weniger wahrscheinlich ist, dass sie nur klick , klick macht, wenn sie peng , peng machen sollte.
Ich kramte in meinem Schrank herum und fand ein paar Klamotten für meinen Spaziergang im Park, dabei stieß ich auf ein altes Kampfmesser der Marineinfanterie, das im Besitz meiner Familie ist, seit Onkel Ernie im Pazifik gedient hat. Laut Onkel Ernie hatte das Messer schon Blut geleckt, deshalb war es nicht nur irgendein Messer, es war getauft. Außerdem musste es
geschärft werden, was ich mit einem Wetzstein aus der Küchenschublade machte. Und während ich das große Messer schliff, begriff ich ein bisschen, wie alten Kriegern am Vorabend der Schlacht zumute gewesen sein musste – oder heutigen Soldaten, die vor dem Angriff ihre Bajonette schärften. Beim Schleifen des Stahls ging es weniger um die Schärfe der Waffe, sondern um das Wappnen von Geist und Seele. Es ging um ein uraltes Gefühl der Verbundenheit mit jedem Mann, der jemals in die Schlacht gezogen ist und dem Tod ins Auge geblickt hat, mit seinen Kameraden dastand und doch allein war mit seinen Gedanken und seiner ureigenen Angst und auf das Zeichen gewartet hat, dem Feind und sich selbst zu begegnen.
41
U m 22 Uhr ging ich hinunter in die Lobby, wo ein Spezialeinsatzgruppenleiter, Special Agent Bob Stark vom FBI, auf mich wartete. Ich kannte Bob, er war einer von den Guten.
Ich trug eine Khakihose, weiße Laufschuhe – aber ohne Blinklichter – und einen weißen Baumwollpulli. Es nieselte ab und zu,
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