Der Löwe
Khalils Unterschlupf. So geht sie den Bach runter, die schöne Gegend.
Ich lief weiter, und Bob Starks Stimme drang aus meinen Kopfhörern. »Jäger, hier SE Eins – hören Sie mich?«
Ich sprach in das Kondensatormikrofon unter meinem Pulli. »Jäger hier, laut und deutlich.«
»Okay, wir sind bei Ihnen, aber stellen Sie sich vor, Sie wären allein.«
»In Ordnung. Ich bleibe am Eingang zum Park stehen, damit Sie sehen, ob sich jemand für mich interessiert.«
»Gut. Wir haben zwei Leute – einen Mann und eine Frau – gleich im Eingangsbereich des Parks.«
Er beschrieb ihre Kleidung, worauf ich sagte: »Versuchen Sie Ihre Leute von mir fernzuhalten, sobald ich tiefer in den Park komme. Ich will nicht, dass eventuelle Beschatter verscheucht werden.«
»Wir können das hier ziemlich gut.«
»Ich weiß. Ich will ja bloß sagen, dass ich mich selber beschützen kann.«
»Gut. Beim nächsten Mal können Sie allein gehen.«
»Werden Sie nicht gleich sauer«, erwiderte ich.
»Verstanden.«
Nur zu Ihrer Information: Wenn man in New York die Straße entlangläuft und mit sich selbst redet, fällt es keinem auf – außer vielleicht anderen Leuten, die mit sich selbst reden.
Jedenfalls überquerte ich die Fifth Avenue und blieb nahe der niedrigen Steinmauer stehen, die den ganzen Park umgibt. Rund um den Eingang zum Park standen noch ein paar Straßenhändler mit ihren Schiebkarren, und da ich mich hier etwas aufhalten sollte, nutzte ich die Gelegenheit und kaufte mir einen Chilidog. Genau genommen waren es zwei. Hey, das könnte meine letzte Mahlzeit sein. Ich setzte mich auf eine nasse Bank, aß meine Hotdogs und versuchte, wie ein niedergeschlagener Witwer zu wirken, was nicht einfach ist, wenn man zwei großartige Dogs in den Händen hat. Auf alle Fälle vertilgte ich mein Abendessen und lief dann in den Park.
Ich entdeckte das Überwachungspärchen, das auf einer Bank saß und für alle Welt wie ein Liebespaar aussah – nicht wie Ehemann und Ehefrau, weil sie Händchen hielten und miteinander
redeten. Okay, das war nicht nett. Vor allem aber schauten sie nicht zu mir herüber, und ich spürte, dass sie Profis waren.
Als ich tiefer in den Park kam, weg von der Fifth Avenue, fiel mir auf, wie sich Stimmung und Gefühl veränderten – es war fast so, als wäre ich in eine Zeit zurückgeraten, in der die Insel Manhattan noch aus lauter Wäldern, Wiesen und Felsbrocken bestand. Man kann allerdings die Lichter der Wolkenkratzer rund um den Park sehen, und im Park gibt es befestigte Wege mit schmucken Laternenpfählen. Ich folgte einem dieser Wege in Richtung Norden, zum Kerbs Boathouse, meiner ersten Anlaufstelle.
Der Nieselregen hielt sowohl die großen Spaziergängerscharen fern als auch die Leute, die sonst auf den Rasenflächen lagerten. Genau genommen waren heute Nacht nur wenige Leute da, und das war gut.
Ich marschierte gen Norden, dann folgte ich einem Wegweiser und einem Weg, der mich zu Kerbs Boathouse am See führte. Ich versuchte meine Überwachungsleute ausfindig zu machen, aber außer dem Pärchen, das fünfzig Meter hinter mir Händchen haltend spazierenging, entdeckte ich niemanden. Außerdem versuchte ich festzustellen, ob mir noch jemand anders folgte, aber allem Anschein nach hatte niemand ein besonderes Interesse an mir.
Eine Stimme in meinem Ohr sagte: »Jäger, hier SE Eins – Sie scheinen allein zu sein. Verstanden?«
»Verstanden«, erwiderte ich.
Und das war’s. Mehr musste nicht gesagt werden.
Ich kam zu dem Bootshaus, in dem Modellboote für Freizeitfreaks verstaut waren, blieb auf dem steinernen Patio zwischen dem Haus und dem See stehen und blickte hinaus aufs Wasser.
Irgendwo auf der anderen Seite des Sees war ein SEK-Team mit Scharfschützengewehren, und die Jungs konnten einem den Kaugummi aus dem Mund schießen, ohne einen Zahn zu
beschädigen. Aber mir kam es so vor, als wäre ich der Einzige hier.
Nahe dem Ufer standen Bänke, und ich setzte mich auf eine und versuchte niedergeschlagen zu wirken, was nicht weiter schwer ist, wenn man einen nassen Arsch hat und der Regen kälter wird.
Ich ließ mir zehn Minuten Zeit und wollte gerade losziehen, als Stark sagte: »Jemand nähert sich von Norden.«
»Verstanden.«
Ich zog meine Glock und legte sie auf den Schoß.
Ich hörte von rechts Schritte kommen und warf einen Blick zur anderen Ecke des Bootshauses.
Ein Mann – ziemlich groß – stand im Schein einer Laterne. Er betrachtete mich, ging dann ein
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