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Der Löwe

Der Löwe

Titel: Der Löwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson DeMille
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Afghanistan herumgetrieben. Es war ein Wunder, dass sie ihn ertragen hatten.
    Ich überlegte, ob ich Kate von dem Anruf von Asad Khalil erzählen sollte. Ach, übrigens haben Khalil und ich heute miteinander gesprochen, und er will sich mit mir treffen und mir die Genitalien und das Gesicht absäbeln. Was meinst du damit, dass ich nicht hierbleiben kann? Ich kann nicht davonlaufen. Sonst verliere ich mein Gesicht.
    Meinen Bossen konnte ich jetzt auch nicht mehr von dem Anruf berichten, denn die fünf Sekunden, innerhalb derer ich es hätte tun sollen, waren vorbei.
    Natürlich hätte ich ihnen von Khalils Anruf berichtet, wenn ich bei seinem Gerede irgendetwas Nützliches erfahren hätte. Aber von der Sache mit dem Gesicht einmal abgesehen, hatte er
lediglich gesagt, dass er New York verlassen wolle oder es bereits verlassen hatte. Und das war Blödsinn. Aber Walsh könnte anderer Meinung sein.
    Unterdessen hatte ich immer noch nichts von Boris gehört.
    »John?«
    »Ja, mein Schatz?«
    »Ich habe gefragt, ob dir das etwas ausmacht?«
    Kate hatte den Verband abgenommen, und an ihrer Kehle war eine zehn Zentimeter lange lila Narbe.
    »Ich finde es sexy«, versicherte ich ihr.
    »Es ist hässlich.«
    Würde Kate mich noch lieben, wenn man mir das Gesicht abgesäbelt hatte? Ich wusste, dass es so sein würde – und außerdem bräuchte sie sich nicht mehr darüber beschweren, dass ich mich nicht rasiert hatte. Aber wie sah es mit meinem Gemächt aus? Das könnte problematisch werden.
    »Es kommt nur auf die inneren Werte an«, sagte ich zu ihr und schlug vor: »Überschminke sie.«
    Ich blieb zum Abendessen – blaue Bohnen –, und Kate sagte, wir sollten nicht über die Arbeit sprechen, sondern allmählich Druck abbauen und an freudigere Dinge denken, zum Beispiel an Beerenpflücken oder Kanufahren auf dem von Ungeziefer verseuchten See in der Nähe ihres Elternhauses.
    »Dein Vater erzählt stundenlang FBI-Geschichten«, erinnerte ich sie.
    »Ich werde mit ihm sprechen.«
    »Und er trinkt nicht.«
    »Meine Eltern finden Alkohol nicht gut.«
    »Ich auch nicht. Ich trinke ihn bloß.«
    »Du hast den Befehl, mich nach Minnesota zu begleiten«, erinnerte sie mich. »Mach das Beste daraus.«
    Ich nickte, war in Gedanken aber wieder bei dem Telefongespräch mit Asad Khalil.

    Er hatte mich nicht gefragt, wo ich war, weil er wusste, wo ich wohnte. Und ich hatte nicht die geringsten Zweifel daran, dass er nicht abhauen würde, bevor er nicht alles erledigt hatte. Folglich musste ich nur darauf warten, bis er seinen Zug machte, zu seinen Bedingungen und dem von ihm gewählten Zeitpunkt. Und so würde es immer sein.
    Deshalb musste ich hier sein, wenn dieser Zeitpunkt kam. Nicht in Montana, nicht in Michigan und auch nicht in Minnesota  – nur hier.

45
    S onntagmorgen. Meine Hüter von der Spezialeinsatzgruppe boten mir an, mich zur Kirche zu begleiten, wenn mir danach zumute wäre. Kürzlich hatte mir ein fallschirmspringender Terrorist mit dem Tod gedroht, deshalb dachte ich ernsthaft darüber nach, bevor ich mich dafür entschied, mir in der Badewanne eine im Fernsehen übertragene Messe aus St. Patrick’s anzusehen. Aber im Geist war ich dort.
    Mittags trat ich meine Pilgerfahrt zum Bellevue an.
    Kate war frohgemut, und ich musste an Häftlinge denken, die ich kurz vor ihrer Entlassung gesehen hatte.
    »Hast du schon gepackt?«, fragte sie mich.
    »Alles gepackt und bereit zum Aufbruch.« Nein.
    »Gibt’s in dem Fall irgendwas Neues?«, fragte mich Kate.
    »Nicht dass ich wüsste. Was hast du von Tom gehört?«
    »Nichts. Ich glaube, er ist übers Wochenende weg«, erklärte sie mir.
    »Wirklich?« Der verantwortliche Special Agent der New Yorker Antiterror-Task Force war also verreist, während der schlimmste Terrorist des Planeten in der Stadt war. »Tom sollte ein bisschen ausspannen«, sagte ich zu Kate. »An einem Wochenende passiert nie was Schlimmes.«
    Da es Sonntag war, wimmelte es auf der Station von Gefängnisgeistlichen, die ihre Runden machten und die Kommunion und Gottes Botschaft von der Liebe all denen anboten, die sie am dringendsten brauchten – Mördern, Frauenschändern, Drogenhändlern und anderen Straftätern, die erlöst werden konnten,
mit Ausnahme von Politikern, deren Seelen nicht zu retten waren.
    Ich war nicht so gut gelaunt wie Kate, und sie spürte es, ging aber einfach nicht darauf ein. Fröhlichkeit ist ihrer Meinung nach genauso ansteckend wie der syphilitische Junkie im Zimmer

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