Der Löwe
fort.
Etwa zwanzig Minuten später riefen meine Eltern aus Florida an – sie wussten alle schon Bescheid –, und meine Mutter teilte mir mit: »Hier ist es heiß und feucht, und es wird noch schlimmer werden, wenn ihr kommt. Bringt bequeme Kleidung mit. Wir haben genug Sonnenöl. Du weißt ja, wie leicht du dich verbrennst. Und du wirst hier gesund essen – jede Menge Fisch und Gemüse.«
Ich griff zu meiner Glock.
»Spielen du und deine Frau Bingo?«
Ich lud durch.
Mein Vater schrie im Hintergrund: »Sag ihm, dass ich jede Menge Scotch im Haus habe.«
Ich legte die Knarre hin.
Um sechs bestellte ich meine Mitfahrgelegenheit zum Bellevue.
SECHSTER TEIL
Brooklyn und Manhattan
46
A sad Khalil saß in einem Taxi vor dem Svetlana. Eine SMS tauchte auf seinem Handy auf, und Khalil las sie, stieg dann aus dem Taxi und sagte zu seinem Fahrer, einem Libyer namens Rasheed: »Warten Sie hier.«
Khalil, der Anzug, Krawatte und eine Brille trug und einen herunterhängenden Schnurrbart hatte, trat durch die Vordertür des Nachtclubs, wo er vom Oberkellner begrüßt wurde, der ihn auf Russisch fragte: »Haben Sie eine Reservierung.«
»Ich gehe nur an die Bar«, erwiderte Khalil mit dem ganz passablen Russisch, das er von Boris gelernt hatte.
Dimitri, der Oberkellner, hielt ihn für einen Einwohner einer der ehemaligen asiatischen Sowjetrepubliken – einen Kasachen oder Usbeken. Er mochte diese Leute nicht, und er hätte ihn abgewiesen, wenn er einen Tisch gewollt hätte. Aber es war schwierig, jemanden abzuweisen, der nur an der Bar sitzen und sich die Varietévorstellung ansehen wollte. Der Barkeeper würde mit dem Mann klarkommen.
Dimitri deutete wortlos auf die offene Tür hinter ihm und wandte sich einer neu angekommenen Gruppe zu.
Asad Khalil ging durch die Tür und einen langen Korridor entlang, der hell erleuchtet und mit großen Fotos von früheren Veranstaltungen im Svetlana geschmückt war – Hochzeiten und anderen frohen Ereignissen, dazu Reklame auf Russisch und Englisch, mit der die Leute dazu angehalten wurden, hier für besondere Feiern zu reservieren.
Er blieb vor einem Gruppenfoto stehen, das ihm ins Auge
gefallen war. In der Mitte stand Boris Korsakov, dessen Lächeln, wie Khalil fand, nicht ehrlich war. »So tief«, dachte Khalil, »ist der große KGB-Mann also gesunken.« Außerdem fand er, dass Boris zugelegt hatte.
Khalil ging weiter den Korridor entlang, der in ein großes Restaurant führte, in dem er eine Bar und weiter hinten eine Lounge sah. Das Restaurant, so stellte er fest, war an diesem Sonntagabend um sechs halbvoll, die Bühne leer.
Khalil war noch nie hier gewesen, aber er kannte das Lokal von Fotos und Auskünften, die ihm ein muslimischer Glaubensbruder vor ein paar Tagen gegeben hatte, ein Mann namens Vladimir, ein russifizierter Tschetschene, der einen Monat zuvor die Anweisung erhalten hatte, sich hier einen Job zu suchen.
Khalil blieb fast eine Minute lang am Eingang zum Restaurant stehen, denn er wusste, dass ihn jemand vom Sicherheitspersonal bemerken würde, dann lief er zielstrebig zu einem mit einem roten Vorhang verhangenen Durchgang und betrat den kurzen Korridor, der zu einer verschlossenen Tür führte.
Im nächsten Moment hörte er Schritte hinter sich, und ein Mann sagte auf Englisch »Halt«, dann auf Russisch »Stoi!«
Der Mann legte die Hand auf Khalils Schulter, und Khalil fuhr herum, stieß ihm ein langes Tranchiermesser in die Kehle und durchtrennte seine Luftröhre.
Khalil hielt den Mann fest und ließ ihn zu Boden gleiten, bis er mit dem Rücken an der Wand dasaß, dann zog er das Messer heraus. Er durchsuchte die Taschen des Mannes und fand eine Schlüsselkette, eine 45er Colt Automatik und ein Funktelefon.
Der Mann lebte noch, aber er erstickte an seinem eigenen Blut, und sein Kehlkopf war zerstört, deshalb brachte er außer einem Gurgeln keinen Ton zustande.
Khalil warf einen Blick zu dem roten Vorhang. Niemand war
ihnen gefolgt. Er hievte sich den Sterbenden über die Schulter, ging zu der verschlossenen Tür, probierte einen Schlüssel, dann einen anderen, und die Tür ging auf.
Khalil befand sich in einem kleinen Raum mit einem Aufzug und einer Stahltür, die, wie Vladimir ihm erklärt hatte, zum Treppenhaus führte. Vladimir hatte ihm außerdem per SMS mitgeteilt, dass Viktor, der andere Leibwächter, jetzt in einem Vorzimmer ein Stockwerk höher saß, vor Boris’ Büro, während Vladimir den Tisch für Boris und eine Frau
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