Der Lord und die Betrügerin
mattbraune Pferde grasten auf der Weide im schwachen Licht der untergehenden Sonne. Sie schnaubten und zupften an dem Wintergras. Ein paar Fohlen tänzelten an den Seiten ihrer Mütter auf ihren staksigen Beinchen oder stießen die Nüstern in die Flanken ihrer Mütter, um zu trinken. Die Hengste waren auf einer anderen Weide untergebracht, weit weg von der übrigen Herde. Doch Joseph wusste, dass er sich nicht geirrt hatte. Ein Pferd fehlte.
Sicherheitshalber zählte er noch einmal. Er berücksichtigte auch, dass drei Pferde zu einer Jagd eingeteilt waren, auf fünf Pferden waren Soldaten unterwegs im Wald, zwei Pferde waren beim Schmied für neue Hufeisen, vier der Stuten standen im Stall und warteten darauf, ihre Fohlen zu bekommen, und ein alter Hengst hatte gelahmt und erholte sich in einer der Boxen im Stall. Neununddreißig.
Blieb also eine fehlende Stute. Das kleine, lebhafte spanis c he Pferd, das sich regelmäßig gegen das Zaumzeug wehrte und darauf biss, wenn es die Möglichkeit bekam, und stoisch die Befehle seines Reiters missachtete. Es war eine temperamentvolle und feurige Stute, ein kleines, kompaktes Pferd, das nur wenige der Soldaten gern ritten. Doch Lady Kiera ritt öfter mit ihr, wenn Garnet, ihr Lieblingspferd, nicht zur Verfügung stand.
Lady Kiera. Das süßeste Geschöpf in ganz Lawenydd, vielleicht sogar in ganz Wales. Sie war so ganz anders als ihre Schwester Elyn, in die sich Joseph unglücklicherweise schon vor langer Zeit verliebt hatte. Es war dumm, auch nur an sie zu denken. Und dennoch konnte er nicht anders. Viel zu oft dachte er an sie.
Einige Leute im Schloss behaupteten, dass die beiden ältesten Töchter von Baron Llwyd einander so ähnlich sahen, dass sie Zwillinge hätten sein können. Joseph fand allerdings, so etwas zu behaupten war Unsinn. Körperlich ähnelten sich die beiden sehr, vom Gesicht und von der Größe her, und ja, vielleicht sogar auch in ihrem Benehmen. Aber da hörten die Ähnlichkeiten auch schon auf.
Während Elyn Kampfgeist besaß und eine scharfe Zunge und einem normalerweise auf die Nerven fiel, war Kiera viel menschlicher. Sie besaß genauso viel Temperament, aber es wurde gemildert durch einen guten Sinn für Humor. Und ganz gleich, was auch geschah, sie hatte stets ein freundliches Wort für ihn. Obwohl Elyn ihn magisch angezogen hatte, als er noch jünger war. Aber es war falsch.
Die Probleme hatten begonnen, als er elf Jahre alt war und angefangen hatte, von Elyn zu träumen, davon, sie zu zähmen. Dunkel und sinnlich waren diese Träume gewesen, und oft war er im Stroh über dem Stall aufgewacht, und sein Glied war so hart wie Stein gewesen. Allein auf dem Heuboden, mit dem Licht des Mondes, das durch das kleine Fenster fiel, hatte er sich ihr hochmütiges, wunderschönes Gesicht immer wieder ins Gedächtnis gerufen.
Ihre Augen waren groß und grün, wie der Nebel in der Morgendämmerung, ihre Wangenknochen hoch und königlich, ihre Lippen hatten die Farbe von voll erblühten Rosen. Noch dazu hatte er sie einmal nackt gesehen, als sie nicht ahnte, dass er in ihrer Nähe war, vor Jahren, als sie und Kiera kichernd ihre Kleider ausgezogen hatten und im Mühlenteich nackt geschwommen waren. Er hatte nie einer Seele etwas davon verraten.
Aber in diesen langen, langen Stunden der Nacht, allein auf dem Heuboden, hatte er sich an ihre weiße Haut erinnert, an ihr dunkles Haar und an den Blick, den er auf die rosigen Spitzen ihrer Brüste hatte werfen können. Obwohl er für seine Gedanken sicher in die Hölle verdammt werden würde, hatte er sich vorgestellt, wie es wohl sein würde, mit ihr zu schlafen, zwischen die kühlen Laken zu gleiten und ihren heißen Körper neben sich zu fühlen.
Oh, es war eine Sünde, das wusste er. Doch oft war seine eigene Vorstellungskraft sein ärgster Feind. Zu seiner Schande musste er gestehen, dass er mitten in seinen erotischen Uber- legungen sogar so weit gegangen war, sich selbst zu berühren.
Danach hatte er sich immer sehr schmutzig und dumm gefühlt, und sein Gewissen und sein Glauben hatten ihn in die Kapelle getrieben, wo er mit hochrotem Kopf seine Sünden dem Priester des Schlosses gebeichtet hatte.
Nicht ein einziges Mal hatte Joseph in diesen Beichten Elyns Namen erwähnt. Er würde ihren Namen niemals beschmutzen. Er würde sich doch damit nicht noch mehr in Verlegenheit bringen. Nicht einmal vor Gott.
Er hatte versucht, gläubig zu sein und Gottes Willen zu tun, doch das war manchmal verflixt
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