Der Lord und die Betrügerin
bin nicht mal deine Schwiegertochter.
»Jetzt werde ich müde. Wir werden uns ein anderes Mal weiter unterhalten.« Das Feuer in Lenores Augen erlosch. Offensichtlich zufrieden, dass Kiera ihr Wort gegeben hatte, sank sie in sich zusammen, ihre Kraft schien zu Ende zu sein. Langsam schlössen sich ihre Augen, und sie hob eine Hand, ihre Finger zitterten ein wenig. »Bitte, ruf die Dienerin. Auf Wiedersehen, Elyn.«
Kiera brauchte nicht zu rufen. Als hätte Rosalynn auf der anderen Seite der Tür gelauscht, kam sie ins Zimmer. Sie warf Kiera einen abschätzenden Blick zu und eilte ans Bett. Kiera verabschiedete sich schnell.
»Ich bin hier, M'lady«, versicherte die Dienerin Lenore.
»Gut... Bitte kümmere dich darum, dass Daylynn diese Handarbeit beendet«, sagte sie, und Kiera hörte ihre Worte noch, als sie den Flur betrat. »Es ist ein Hochzeitsgeschenk für meinen Sohn und seine Frau.«
Von seinem Versteck auf dem Heuboden aus entdeckte Joseph das vermisste Pferd. Die Stute scharrte nervös mit ihren Hufen. Ihre Blesse hob sich deutlich von ihrem dunklen Fell ab. Sie war im Stall in einer Box angebunden, weit weg von den anderen Pferden. Die meisten der Tiere, die nicht benutzt wurden, um einen Karren zu ziehen oder einen Soldaten zu tragen, waren auf der südlichen Weide. Joseph hatte aus der Luke des Dachbodens die täglichen Arbeiten beobachtet. Die Pferde wurden von einem faulen, grobschlächtigen Jungen versorgt, der seinen Hut tief in die Stirn gezogen hatte, um sich vor dem Regen zu schützen. Er lehnte am Stamm eines kahlen Apfelbaumes; entweder schnitzte er, oder er döste vor sich hin. Und das war Joseph nur recht. Der Junge schien uninteressiert genug, um die Stute nicht zu vermissen.
Genau,, wie du sie nicht vermisst hast?, fragte sein Gewissen.
Joseph biss die Zähne zusammen, während er über seinen Plan nachdachte. Er würde die Stute stehlen, die Baron Llwyd gehörte. Das war das Mindeste, was er tun konnte. Und irgendwie würde er damit die Tatsache wieder gutmachen, dass vor ein paar Jahren Obsidian spurlos verschwunden war.
Aber was ist mit Lady Elyn?
Er runzelte nachdenklich die Stirn, als er vom Heuboden herunterkletterte und in den Verschlag der Stute schlich und ihre weichen Nüstern streichelte. Sie warf den Kopf zurück und schaubte. Joseph stahl sich aus dem Stall. Es war noch nicht dunkel. Deshalb zog er die Kapuze über den Kopf und hielt sich im Schatten, abseits der ausgetretenen Wege. Der Wind war frisch und kalt, Regen fiel vom Himmel.
Trotz des Wetters waren die Arbeiter in den verfallenen Mauern von Oak Crest emsig beschäftigt. Frauen trugen Krüge, Platten, geschlachtete Hühner, Eier und Gemüse. Man sah Jäger mit ihrer Beute und Holzfäller mit Karren voller Feuerholz. Kühe muhten, Schafe blökten, und überall hörte man Stimmengewirr. Aufregung lag in der diesigen Luft. Hoch auf dem Nordturm flatterte die grün-weiße Fahne von Oak Crest im Wind, und auf einem niedrigen Fahnenmast wehte daneben das Banner von Fenn.
Lady Wynnifrydd würde schon bald Sir Brocks Braut sein. Was also war mit Lady Elyn geschehen? Wenn ihr Pferd hier war, konnte er dann nicht daraus schließen, dass auch Elyn im Schloss war? Doch er hatte von niemandem ihren Namen gehört, hatte nichts von ihr gesehen, außer ihrer nervösen Stute.
Wo war sie?
Eine dunkle Vorahnung wuchs in Josephs Herz. Uber einen Tag lang hatte er sich unter die Bevölkerung des Schlosses gemischt. Er hatte Dutzende von Unterhaltungen mitgehört, genügend Klatsch und Tratsch, um sicher zu sein, dass Lady Elyn nicht im Schloss war. Es sei denn, sie hielt sich irgendwo versteckt vor allen Menschen - außer vor Brock. Aber warum sollte sie das tun?
Er runzelte die Stirn und schlang seinen Schal fester um den Hals, verbarg noch mehr von seinem Gesicht. Er glaubte nicht, dass Lady Elyn es zulassen würde, dass der Mann, den sie liebte, eine andere Frau heiratete. Nicht, nachdem sie sich so sehr bemüht hatte - wenn sie solch unglaubliche Risiken eingegangen war, um bei diesem Bastard von Oak Crest zu sein. Joseph hasste diesen Mann, nicht nur seiner ungehobelten Manieren wegen, sondern auch, weil Lady Elyn ihn liebte.
»Bastard«, murmelte er bitter in seinen wollenen Schal. Die Angst, dass etwas Grausiges geschehen war, nagte an ihm. Er konnte nicht glauben, dass Lady Elyn von Lawenydd in ihrer unverblümten Art, mit ihrer spitzen Zunge, sich verstecken und sich damit zufrieden geben würde, mit einer Lüge zu
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