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Der Lüge schöner Schein

Der Lüge schöner Schein

Titel: Der Lüge schöner Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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»Nach etwas frischer Luft werde ich besser schlafen. Und ich würde Ihre Eule auch gern sehen.«
     
    Überraschenderweise fand Pascoe nach ein paar Minuten tatsächlich Gefallen an dem Spaziergang. Einiges an seinem Weggefährten blieb ihm unverständlich, und der Wunsch, Davenant auf den Zahn zu fühlen, war in erster Linie Vater des Gedankens gewesen, ihn zu begleiten. Doch es war keine Nacht für eitles, oder auch weniger eitles, Geschwätz, und selbst ihre Schritte im Kies vor Culpeppers Haus störten die Stille. Die Auffahrt lag vor ihnen, weiß wie ein Fluss in Alaska, und als sie schließlich an ihrem Ende auf den dunkleren Weg gestoßen waren, der zur Straße hinunterführte, zögerten beide, als wären sie sich der Tragfähigkeit des Untergrunds nicht gewiss. Allmählich begannen die nächtlichen Geräusche alles zu übertönen: ein Rauschen in den Bäumen, ein Rascheln im Gras, Stimmen in der Ferne, die plötzlich abbrachen, und dann ein langes Tremolo, das an den Nerven zerrte.
    »Da!«, sagte Davenant. »Das ist sie.«
    »Ihre Eule?«
    »Wahrscheinlich. Könnte aber auch nur ein Waldkauz sein. Kommt häufiger vor. Hören Sie.«
    Noch einmal erklang dieser Ton. Pascoe kam sich vor wie bei einem Indianerangriff.
    »Ich glaube, es ist ein Kauz«, sagte Davenant. »Auch recht putzig, aber nicht dasselbe.«
    Sie gingen weiter.
    »Sagen Sie mir doch«, begann Pascoe, als sie die Straße erreicht hatten, »was Palfrey über Colin zu sagen hatte, bevor ich ihn unterbrochen habe. Oder danach.«
    Sie waren nach rechts gegangen, auf das Dorf zu. Linker Hand wäre es zum Brookside Cottage gegangen.
    »Das interessiert Sie jetzt«, sagte Davenant. »Na ja, besonders schmeichelhaft war’s nicht, wie Sie sich vorstellen können. Ich habe Colin über Timmy und Carlo kennen gelernt, stand ihm also nicht so nahe wie Sie. Außerdem wollte ich ihn natürlich zum Reden bringen. Ich habe also anders reagiert als Sie.«
    »Sie müssen sich nicht entschuldigen. Es war dumm von mir.«
    »Vielleicht. Manchmal müssen wir unseren Gefühlen einfach freien Lauf lassen. Die Hopkins und Palfrey kamen schon von Anfang an nicht klar. Seiner sehr farbigen und für viele meiner Pressekollegen leider äußerst faszinierenden Schilderung zufolge war Colin ein exhibitionistischer, marxistischer Wirrkopf.
Marxistisch
ist für Palfrey übrigens das Schimpfwort par excellence. Er würde seinen hübschen Sohn, einen unschuldigen Teenager, eher der zärtlichen Obhut von jemandem wie mir anvertrauen als einem Marxisten.«
    »Was genau hat er Ihnen erzählt?«
    »Nicht sehr viel. Aber aus anderen Quellen habe ich eine viel detailliertere Version der Geschichte geschöpft. Anscheinend hat er bei den ganzen Neureichen erst mal die Nummer mit der Nobelschule und der Militärakademie abgezogen. Als er damit nicht landen konnte und sah, dass alle, bei denen er es vergeblich versucht hatte, Rose und Colin gleich akzeptierten, hat er es mit der ›Wir-sind-doch-alle-gute-Freunde‹-Tour probiert. Damit ist er auch nicht so gut angekommen, aber weil sie nette Leute waren, haben sie ihn geduldet. Bis er eines Abends ein paar krakeelende Jugendliche hinausgeworfen hat, die sich in sein Lokal verirrt hatten. Sein Pech war nur, dass er sich dabei von Rose moralische Unterstützung erhoffte. Da ist sie aufgestanden, hat erklärt, dass sie das Bier schon immer für eine Zumutung gehalten, aber jetzt erst so richtig verstanden hätte, warum ihn alle Jim Piss nannten, und ist abmarschiert. Palfrey bezeichnete sie als liederliches Weibsstück, worauf Colin, im Gefolge von Rose, noch kurz stehen blieb, um Palfrey sein Glas über den Kopf zu schütten. Sie haben sich nie wieder blicken lassen. Wie sollten sie auch, nach so einem Abgang?«
    »Aber damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende?«, mutmaßte Pascoe.
    »Noch lange nicht. Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. Palfrey verfolgte sie mit den übelsten Verleumdungen, streute Gerüchte aus über ihren lasterhaften Lebenswandel, politischen Extremismus und, das Schlimmste überhaupt für bürgerliche Ohren, über ihre mangelnde wirtschaftliche Solidität. Colin und Rose hatten genügend Freunde, aber in einem Ort wie diesem findet sich immer irgendwo ein offenes Ohr für solche Gerüchte.«
    »Und …?«, hakte Pascoe nach, als sie etwa fünfzig Meter weitergegangen waren.
    »Und gar nichts.
Finis
. Ich habe aber gehört, dass Colin gesehen wurde, wie er Freitagvormittag, kurz vor Geschäftsbeginn, aus dem

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