Der Lüge schöner Schein
er, während er ins Glas stierte. Diese Herzattacken wurden zur Epidemie. Es würde schwierig werden, sich nicht davon anstecken zu lassen.
»Hallo, Eric, mein Kleiner«, sagte Angus Pelman, und lächelte aus dem Fenster des Landrovers dem ziemlich durchnässten Jungen am Straßenrand zu.
Eric Bell war von dieser onkelhaften Anrede wenig angetan. Sie hatte ihn bei der ersten Begegnung schon gestört, und in der Zwischenzeit war nichts geschehen, was diesen Störfaktor eliminiert hätte.
»Hallo, Mr. Pelman«, antwortete der Angesprochene höflich. Immerhin war der Mann ein Freund seiner Eltern, obwohl das Wort »Freund« in der Welt der Erwachsenen eine recht sonderbare Bedeutung zu haben schien. Seine Mutter und sein Vater freuten sich anscheinend immer sehr über Pelmans Gesellschaft, machten ein großes Getue um ihn, sorgten stets dafür, dass er nie auf dem Trockenen saß. Aber was sie hinter seinem Rücken über ihn sagten, war, wenn auch nicht immer verständlich, eindeutig alles andere als schmeichelhaft.
»Steig lieber ein«, sagte Pelman. »Obwohl, viel nässer kannst du eigentlich nicht mehr werden.«
Eric stieg ein.
»Heute nicht in der Schule?«, fragte Pelman.
»Nein. Die Lehrer haben ein Treffen.«
»Aha. Bei dem Haufen Ferien, den die haben, sollte man meinen, sie könnten sich mal in ihrer Freizeit treffen. Meinst du nicht, Eric?«
Eric fand es nicht der Mühe wert, darauf zu antworten. Damit handelte er seiner eigenen Lieblingsmaxime zuwider, die besagte, zu Erwachsenen nett zu sein, lohne sich. Postwendend erhielt er die Quittung dafür.
»Warst du das vorhin, oben am Poplar Ridge?«, fragte Pelman beiläufig.
»Am Poplar Ridge?«
»Genau.«
»Kann schon sein.«
»Aha. Viel zu sehen gibt’s da aber nicht, oder?«
»Eigentlich nicht.«
»Nein«, sagte Pelman. »Nur die Lehmgrube.«
Eric heftete seinen Blick auf die regengetüpfelte Scheibe vor ihm. Der Scheibenwischer auf der Beifahrerseite war defekt und zuckte nur sporadisch hoch, wie der gebrochene Flügel eines Vogels.
Er dachte angestrengt nach. Er hatte nicht den geringsten Grund, Pelman zu trauen. Er hatte nicht über seinen Witz gelacht, und das war die größte Schmach, die man einem Mann antun konnte. Also würde Pelman garantiert seiner Mutter den Floh mit der Lehmgrube ins Ohr setzen. Und das wär’s dann gewesen. Wenn es darum ging, jemandem Informationen zu entlocken, waren chinesische Inquisitoren Waisenknaben im Vergleich zu seiner Mutter.
Am ehesten konnte er sich mit einem Ablenkungsmanöver aus der Affäre ziehen.
»Ja«, bestätigte er. »Da oben ist die Lehmgrube. Aber wegen der war ich nicht oben. Ich habe mir das Auto angesehen.«
»Das Auto?«
»Ja. Da oben steht ein Auto. Ich bin raufgegangen, weil ich sehen wollte, ob es noch da ist.«
»Was für ein Auto?«, erkundigte sich Pelman und fuhr langsamer.
»Ein blaues. Ein Mini.«
Sanft kam der Landrover am Straßenrand zum Stehen. Pelman sah den Jungen eindringlich an.
»Ein blauer Mini, Eric? Hast du ihn selbst gefunden, oder hat dir jemand davon erzählt?«
Eric überlegte rasch. Er beschloss, dass es sich besser anhörte, wenn er nur den Bericht von jemand anderem auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft hatte.
»Jemand hat’s mir erzählt«, sagte er und fügte tugendhaft hinzu: »Ich wäre da ja sonst nicht hinaufgegangen.«
»Das ist sehr interessant«, meinte Pelman und fuhr wieder los. »Dann sollten wir’s wohl auch jemandem erzählen, nicht?«
Auf den ersten Blick machte Jane Collinwood der Verlust ihres Arbeitgebers noch mehr zu schaffen als ihrer Kollegin, aber Pascoe hegte den Verdacht, dass sie es vor allem überaus spannend fand, so unmittelbar mit einem echten Mord zu tun zu haben. Sie war, abgesehen von ihren schiefen Zähnen, ein hübsches Mädchen, maximal siebzehn, mit der ganzen Impulsivität ihrer Jugend, die sogar in den kleinen Weinkrämpfen ihren Niederschlag fand, mit denen sie ihre Aussage immer wieder akzentuierte.
Ohne sich große Hoffnungen zu machen, stellte er die üblichen Fragen. War ihr irgendetwas Merkwürdiges aufgefallen? Gab es Grund zur Annahme, jemand wolle Lewis etwas antun? Jede ihrer Antworten brachte seine Theorie, ein persönliches Motiv stecke hinter der Tat, mehr ins Wanken. Dalziel hatte wie immer recht gehabt. Der Einbrecher war gestört worden und hatte in Panik zugeschlagen. Pech für Lewis.
»Wissen Sie, warum Mr. Lewis am Montag zurückgekommen ist?«, fragte er abschließend,
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