Der Lüge schöner Schein
Arbeit hinter sich.
»Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen, oder wollen Sie nur frische Luft schnappen?«, fuhr er fort.
»Ich bin auf dem Weg nach Brookside«, antwortete Pascoe. »Danke für das Angebot, aber ich bin ja gleich da.«
Ein Citroën GS düste an ihnen vorbei auf das Dorf zu. Er verlangsamte kurz, als überlege der Fahrer, ob er anhalten solle, dann beschleunigte er wieder. Davenant, dachte Pascoe. Er hatte Backhouse erzählt, was er über den Mann dachte, aber keine Gegenleistung dafür erhalten. Außer höflichem Dank.
»Was machen Sie heute Abend?«, fragte Pelman. »Kommen Sie auf ein Glas vorbei, wenn Sie’s schaffen. Es werden noch ’n paar andre da sein, die meisten kennen Sie ja schon. Wir haben eine Sitzung vom Umweltausschuss – und können natürlich den Bürgersaal nicht benutzen. Aber um halb neun sollten wir spätestens fertig sein.«
»Danke«, sagte Pascoe. »Ich werd’s versuchen.«
Ein äußerst interessanter Mann, dachte Pascoe, als er dem davonfahrenden Landrover nachsah. Als gutes Ausschussmitglied konnte er ihn sich eigentlich nicht vorstellen. Er war ein Individualist, den man nicht ignorieren konnte. Pascoe hatte sich noch keine endgültige Meinung über ihn gebildet, aber die instinktive Art, in der er Colin verteidigt hatte, strahlte noch immer in goldenen Lettern im Buch des Engels.
Ein paar Minuten später erreichte er Brookside, ohne noch eine Menschenseele gesehen zu haben.
Warum genau er sich im Haus umsehen wollte, konnte er eigentlich nicht erklären. Er hegte nicht ernsthaft die Hoffnung, eine Spur zu entdecken, die Backhouse übersehen hatte, aber ein Grund war bestimmt sein Wunsch, das Haus noch einmal mit dem Auge des Polizisten zu betrachten, was ihm bei seinem letzten Besuch nicht möglich gewesen war. Außerdem war da ein Gefühl der Verantwortung. Jemand sollte Roses und Colins Sachen durchsehen, nicht offiziell, aber in der Absicht, sie zu ordnen und das Nötige zu erledigen. Zweifellos würde schließlich jemand damit beauftragt werden, aber bis jetzt war nichts dergleichen geschehen. Es konnte natürlich auch nichts geschehen, von Gesetzes wegen. Rose war tot. Alles, was ihr gehört hatte, gehörte nun Colin. Nach dem Gesetz war Colin noch am Leben. Daher konnte niemand handeln.
Außer vielleicht ein Freund, der zufällig auch Polizist war, der sich zufällig jetzt auch selbst seine tiefe Überzeugung eingestand, dass Colin tot war.
Man hatte versucht, nach der Explosion aufzuräumen, und abgesehen von der Küche sah das Haus fast normal aus. Jemand hatte die Vorhänge zugezogen, ob aus Anstand oder zum Schutz, war schwer zu beurteilen. Er tastete nach dem Lichtschalter. Der Strom war abgeschaltet. Natürlich. Gas und Wasser auch, nach dem Knall. Es war, als ob eine umsichtige Familie in Urlaub gefahren wäre. Er ging zum hinteren Fenster und begann, die Vorhänge zur Seite zu ziehen. Als er der Sonnenuhr ansichtig wurde, hielt er inne.
Horas non numero nisi serenas
. Nette Idee, wenn man eine Sonnenuhr war.
Hinter ihm läutete das Telefon.
Er wirbelte herum. Es stand auf dem Boden. Er erinnerte sich daran, dass es da auch gestanden hatte, als Ellie und er neun Tage zuvor angekommen waren. Es klingelte nur einmal, dann war es wieder still. Als er eine Weile dagestanden und auf das Telefon hinuntergestarrt hatte, fragte er sich allmählich, ob er sich das Läuten vielleicht eingebildet hatte.
Er hockte sich davor, Hand am Hörer, als wolle er es beschwören, noch einmal zu klingeln. Er begann, die Sekunden zu zählen. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig … Bei dreißig klingelte es wieder.
Im selben Moment krachte etwas schwer auf seinen Hinterkopf, das Telefonklingeln fuhr ihm ins Hirn und verwandelte es in einen Glockenturm, aus dem wilde Schläge in sein Schädelinneres drangen, die einen Weg ins Freie suchten. Schließlich fanden sie ihn und entfleuchten und hinterließen nur Dunkelheit.
Als er die Augen öffnete, kam er sich vor wie im Säuferparadies. Er war umringt von Wirten.
Sam Dixon kühlte ihm die Stirn, während Major/Sergeant Palfrey hilflos daneben stand.
»Brandy«, sagte Pascoe in freudiger Erwartung.
»Pst«, sagte Dixon. »Keiner da.«
»Zwei Wirte und kein Brandy? Man sollte Ihnen die Lizenz entziehen.«
»Es freut mich, dass Sie so fröhlich sind, Mr. Pascoe«, sagte Dixon mit einem Lächeln der Erleichterung. Sogar Palfrey schien froh, dass Pascoe sich wieder aufrichten konnte.
Er sah auf die Uhr.
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