Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Lüge schöner Schein

Der Lüge schöner Schein

Titel: Der Lüge schöner Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
Vom Netzwerk:
früher der seiner Eltern. Wahrscheinlich auch seiner Großeltern, er hatte keine Ahnung, wie alt der Tisch war. Das war nicht von Bedeutung. Aber sollte er sich einmal einen anderen zulegen, dann einen neuen. Das Zeug hier war alles gebraucht. Ge- und Missbrauchsspuren deiner eigenen Familie waren eine Sache; die Narben, die Kratzer und der Dreck fremder Leute waren etwas völlig anderes.
    Nein, hier gab es für ihn nichts zu sehen, weder beruflich noch persönlich. Er wandte sich zum Gehen, dann folgte er einem Impuls, ging durch die Briefmarkenabteilung und stieß die Bürotür auf. Eigentlich wollte er sich nur mit einer kaum versteckten Drohung von Etherege verabschieden. Dalziel hatte es nicht gerne, wenn man sich über ihn lustig machte.
    Die Bedeutung dessen, was er sah, als er die Tür öffnete, dämmerte ihm nicht sofort. Etherege saß an einem Tisch, ohne Jacke, und sein linker Hemdsärmel war hochgekrempelt. In der rechten Hand hielt er eine Injektionsspritze. Verärgert über die Störung sah er auf.
    »Warten Sie bitte draußen«, sagte er in scharfem Ton. Dalziel rührte sich nicht. »Das geht schon in Ordnung«, sagte Etherege, noch immer scharf, aber nun auch spöttisch. »Das ist kein Heroin, sondern nur meine Insulinspritze.«
    »Sie sind Diabetiker«, sagte Dalziel und trat ein. »So, so, so.«
    Er lächelte breit. Es war also doch der Morgen des großen Durchbruchs. Er hatte das Pferd von hinten aufgezäumt. Etherege war nicht nur der geldgierige Hehler. Hier wurden die Schlachtpläne in allen Einzelheiten ausgearbeitet. Das ergab auch viel mehr Sinn.
    »Ist das ein Verbrechen?«, fragte Etherege. »Dann holen Sie doch die Polizei.«
    Der glaubt wirklich, dass ihm keiner was kann, dachte Dalziel. Meint, wir können ihm nichts anhängen. Können wir vielleicht auch nicht, aber wir werden, verdammt noch mal, alles versuchen.
    Er beugte sich über den Antiquitätenhändler und ergriff die Insulinpackung, die auf dem Tisch lag.
    »Wissen Sie, Mr. Etherege«, sagte er, »Sie sollten nicht rumgehen und anderen Leuten in den Teekessel pinkeln.«
    Etherege erstarrte. Man konnte beinahe sehen, wie sein Verstand rasend schnell verarbeitete, was Dalziel gerade gesagt hatte.
    »Die Welt ist voller Diabetiker«, sagte er um Gelassenheit ringend. Dalziel bemerkte das Ringen und legte dem Mann mit finsterem Blick die Hand schwer auf die Schulter.
    »Jonathan Etherege«, psalmodierte er, »ich muss Sie bitten, mich zu begl … Herrgott!«
    Er sprang zurück, stieß dabei einen Stuhl, einen Karteikasten und einen elektrischen Wasserkocher mit Getöse zu Boden und starrte auf sein Handgelenk, von dem in grotesker Weise die Spritze herunterbaumelte, die ihm Etherege mit aller Wucht hineingerammt hatte. Von diesem Anblick wurde Dalziel schlecht, und er war völlig unfähig, den nachfolgenden Angriff zu parieren. Ethereges Knie bohrte sich in seinen Magen und katapultierte Dalziel gegen die scharfe Kante eines Aktenschranks. Die Erinnerung an die potentielle – und tatsächliche – Gewalttätigkeit des Mannes, nach dem sie so lange gesucht hatten, vermischte sich mit den schwarzen Umrissen des Schmerzes, die eins werden und ihn in die totale Finsternis hinabziehen wollten.
    Eine Pause trat ein, wenige Sekunden, die ihm genügten, seine Umgebung wieder wahrzunehmen, wenn auch verschwommen und schwankend. Etherege, stellte er fest, hatte das Werk noch keineswegs zu Ende gebracht. Er hatte sich nur nach etwas umgesehen, mit dem er ihn umbringen konnte. Die Lösung des Problems bot sich ihm in Gestalt eines großen Porzellanhundes. Ein King Charles Spaniel. Im Staffordshire-Stil. Sieben Pfund das Paar. Dalziels Großmutter hatte ein Pärchen besessen, bis der kleine Andrew einen davon mit einem Kricketball geköpft hatte. Er phantasierte, dass dies hier dessen Gefährte war, der gekommen war, um fürchterliche Rache zu üben.
    Später sagte er, dass ihm ein Gedanke neue Kräfte verliehen hatte: Der Heiterkeitsausbruch unter seinen Feinden, wenn sich herumsprach, dass ihn ein Porzellanhund zu Tode gebracht hatte. In diesem Augenblick war es nur der Überlebenstrieb. Er duckte sich, um dem herabsausenden Hund auszuweichen, schlang seine Arme um Etherege und rang ihn zu Boden. Einen Moment dachte Dalziel, dass allein seine Überlegenheit an Körpergewicht ausreichen würde, den anderen dort auch festzuhalten, doch Ethereges ausgestreckte Hände bekamen den elektrischen Wasserkocher zu fassen und er ließ ihn Dalziel

Weitere Kostenlose Bücher