Der Lügner
internationale Sprache wie das Esperanto zu erfinden, die außerdem als
lingua franca
zwischen Mensch und Maschine dienen konnte.«
»Aber die ideale Lösung wäre doch bestimmt, einer Maschine beizubringen, Englisch zu sprechen?«
»Nun, ich fürchte, genau dazu wird es kommen. Wir konnten den Siegeszug der Mikroprozessoren nicht voraussagen, oder vielleicht sollte ich eher sagen, uns fehlte die Fantasie, ihren Siegeszug vorauszusagen. Die Kosten der Datenverarbeitung sind in zehn Jahren auf ein Millionstel reduziert worden. Es ist einfach verblüffend. Das bedeutet, daß man heute für ein Pfund soviel Verarbeitungskapazität kaufen kann wie 1971 für eine Million Pfund.«
»Aber ist das nicht toll?«
»Fantastisch, einfach fantastisch. Aber es nützt mir nichts. Mittlerweile werden in der Datenverarbeitung Dutzende von Sprachen verwendet. Cobol, Forth, C, Lisp, Superlisp, Fortran, BASIC, Pascal, Logo, die blöden Dinger gibt’s wie Sand am Meer. Wir haben ein neues Babel. Das wird sich aussieben, sobald Datenverarbeitung noch billiger wird. Vor Ende des Jahrhunderts werden wir Computer haben, die existente menschliche Sprachen erkennen.«
»Was ist dann das Problem?«
»Oh, es gibt kein Problem. Gar keins. Wir haben dreißig Jahre lang in einer Mine geschürft, die sich als taubes Flöz erwies, das ist alles. Das ist nichts Besonderes. Das ist Uni-Alltag, kann man sagen. Ich erzähle das, um Ihnen den Hintergrund meiner Beziehung zu Szabó klarzumachen. Wir sind in Verbindung geblieben, sehen Sie? Er in Budapest, ich in Cambridge.«
Adrian sagte, das sehe er.
»Vor zwei Jahren machte Szabó eine merkwürdige Entdeckung. Im Lauf der Jahre hatte sich das Zentrum seiner Aufmerksamkeit von der reinen Mathematik zu Elektronik, akustischem Ingenieurwesen und einer Reihe anregender Nachbarfelder verschoben. Ungarn ist in solchen Sachen sehr gut. Dieser bunte Würfel, mit dem alle Weltherumspielte, kam schließlich aus Ungarn. Ich nehme an, es liegt am Vorteil, eine Sprache zu sprechen, die von so wenigen verstanden wird, der die Madjaren in solche Zahlen-, Formen- und Dimensionsexperten verwandelt hat. Es gibt zur Zeit sogar einen ungarischen Mathematiker, der kurz davor steht, etwas zu erreichen, was einst für unmöglich gehalten wurde. Er steht am Rande der Quadratur des Kreises. Oder war es die Zirkulatur des Quadrats? Egal.«
»Nur ein Ungar kann dir in einer Drehtür folgen und als erster herauskommen«, zitierte Adrian.
»Eben. Szabó ist genau so ein komischer Kauz. In den Siebzigern hatte er an Heilverfahren für Stottern gearbeitet und mit Methoden experimentiert, Stotterern ihr eigenes Sprechen sofort wieder ins Ohr zu spielen. Wenn jemand seine eigene Stimme Bruchteile einer Sekunde nach dem Aussprechen hört, während er schon zur nächsten Sache unterwegs ist, die er sagen will, wird sein Stottern anscheinend beseitigt.«
»Wie barock.«
»Barock? Wie Sie meinen.«
»Aber etwas unpraktisch, ständig mit Kopfhörern herumzulaufen, würde ich denken.«
»Ganz recht. Weit entfernt von einer praktikablen Therapie für das Leiden. Zunehmende Sachkenntnisse auf diesem Gebiet führten Béla jedoch zu ungeheuer fruchtbaren Forschungsergebnissen in puncto Sprachzentrum des Gehirns. Der Gegenstand, der ihn dabei am meisten interessierte, war das Lügen oder, sozusagen,
die Sache sagen, die nicht ist
. Er wollte herausfinden, was im Gehirn abläuft, wenn Menschen Dinge sagen, die nicht wahr sind; um zum Beispiel herauszufinden, ob es einen Unterschiedgibt zwischen dem Erzählen einer Lüge, dem Erfahren einer Erinnerungslücke und dem Erfinden einer Fiktion, die alle auf die eine oder andere Weise einbeziehen, die Sache zu sagen, die nicht ist. Ein Mann kann also sagen ›Ich muß heute länger arbeiten, Schatz‹ oder ›Das französische Wort für Schnittlauch ist
l’oignon ‹
oder ›Es war einmal vor langer Zeit ein ungeheurer, Hosen fressender Drache namens Geoffrey‹. All diese Sätze könnten als Beispiele von Lügen angesehen werden. In Wahrheit wird der Sprecher abends
nicht
länger arbeiten, sondern sich zur Wohnung seiner Geliebten begeben, um mit ihr fleischlichen Gelüsten zu frönen. Das ist eine Lüge vom Typ Alpha. Im zweiten Fall weiß das Gehirn des Mannes sehr wohl, daß
oignon
in Wirklichkeit das französische Wort für ›Zwiebel‹ ist und daß das Wort, auf das er nicht kommt,
ciboulette
ist, aber sein Verstand ist im Moment außerstande, Zugang zu dieser Information zu
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