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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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konnte er sich ums Verrecken nicht vorstellen.
    »Wenn Sie sich hier hinsetzen würden«, sagte Trefusis und zeigte auf den einzigen Stuhl. »Ich glaube, wir sind dann soweit.«
    Dem Publikum zugewandt wie der Handlanger eines Zauberers, mit Trefusis am Requisitentisch hinter sich, sah Adrian auf seine Schuhe hinab, um dem Starren erwartungsvoller Gesichter zu entgehen, die sich ihm zugewandt hatten. Verlockende Klänge aus der zentralen Hofbar unten glitten durchs Fenster herein; das Gequassel der Trinker; das Geklirr von Eiswürfeln und Gläsern und Gelächter; ein Hornkonzert von demselben Mozart, der dreieinhalb Jahrhunderte nach Errichtung dieses Hotels geboren worden war und ziemlich genau zwei Jahrhunderte, bevor Adrian seinen ersten Atemzug getan hatte. Siegfrieds Trauermarsch wäre seiner Stimmung angemessener gewesen als dieser närrisch überschwengliche Galopp.
    Hinter ihm räusperte sich Trefusis. »Wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte …?«
    Eine unnötige Bitte, dachte Adrian. Jedes Auge im Saal war schon fest auf die Bühne gerichtet.
    »Setzen Sie sich, ich bitte Sie. Es sind genug Stühle da. So! Das ist viel besser.« Lister hatte Trefusis’ Einladung, sich zu setzen, ignoriert und stand mit gespreizten Beinen an der Tür. Ob er sich dabei dachte, Eintritt oder Ausgang zu verwehren, konnte Adrian nicht entscheiden.
    »Vielleicht darf ich Sie bewegen, die Tür zu schließen, Mr. Lister … oh, ich sehe, Sie haben das schon. Ausgezeichnet! Nun denn, ich glaube, wir alle kennen Adrian Healey. Er ist Sir Davids Neffe mütterlicherseits. Sir David ist selbstverständlich ein wohlbekannter Regierungsbeamter,will sagen, daß er überhaupt nicht bekannt ist, denn seine Abteilung arbeitet im verborgenen. Seinen Assistenten Dickon Lister sehen Sie gleich Zerberus die Tür bewachen. Im Dienste ihrer Regierung hegen sie äußerstes Interesse an einem von meinem Freund Béla Szabó entworfenen System. Als mein alter Tutand an der Universität weiß Sir David seit langem um meine Verbindung zu Szabó, dessen berühmter Enkel, Großmeister Stefan Szabó, heute unter uns weilt.«
    Adrian sah zu dem jungen Mann mit den vom Weinen geröteten Augen hinüber, der zwischen Biffen und Lady Helen saß. Nichts in der Form seines Kopfes oder der Zusammensetzung seiner Gesichtszüge bezeugte irgendwie das abstrakte und logische Genie, das den Schachchampion auszeichnete. Ein ziemlich gewöhnlicher, unschuldig aussehender Mann. Aber traurig: sehr, sehr traurig.
    »Ich hatte gehofft, Bélas zweiter Enkel Martin würde heute bei uns sein können. Wie Sie wohl wissen, wurde er heute umgebracht.«
    Fünf Augenpaare bohrten sich in Adrian, der anlief und wieder zu Boden blickte.
    »Ebenfalls unter uns sind Humphrey Biffen und seine Gattin Lady Helen, alte Freunde und Kollegen von Béla und mir. Auch ihr Schwiegersohn, Simon Hesketh-Harvey, ist hier. Wie es so kommt, arbeitet Simon in derselben Abteilung wie Sir David.«
    »Oder zumindest hat er das bis heute abend, achtzehn Uhr«, brummte Sir David. »Ihren Arsch werde ich zum Tellerbrett verarbeiten, Hesketh-Harvey.«
    »Aber schließlich sind Simon und Mr. Lister nicht die einzigen auf Ihrer Gehaltsliste, nicht wahr, Sir David? Ich glaube, ich kann mit Fug und Recht sagen, daß auch unserjunger Mann Healey hier seit mindestens zwei Jahren ein Stipendium von Ihnen bezogen hat.«
    Adrian schloß die Augen und versuchte, sich auf Mozart zu konzentrieren.
    »Aber gehen wir der Reihe nach vor. Vor zwei Jahren war Szabó, damals noch ein gehorsamer ungarischer Wissenschaftler, einer Konferenz wegen nach Salzburg gekommen. Dort hatte er Unterlagen versteckt, die sich auf seine Mendax-Maschine bezogen. Und dies keinen Augenblick zu früh. Sechs Monate nach seiner Rückkehr nach Budapest waren die ungarischen Behörden über seine Arbeit im Bilde und wollten deren Früchte vorgeführt bekommen. Ihre Abteilung, David, hatte ebenfalls von Mendax gehört und war überzeugt, Großbritannien müsse alles tun, um einen so faszinierenden Apparat in seinen Besitz zu bringen – sei es auch nur als Mittel, um Ihre amerikanischen
confrères
zu beeindrucken. Die Welt hatte gerade erst vom armen, lieben Anthony Blunt erfahren, wie wir nicht vergessen dürfen, und ich bin sicher, es muß bei Ihrem Dienst den überwältigenden Wunsch gegeben haben, prunkvolle Trophäen zu erwerben, die Sie Ihren Vorgesetzten vor die Füße legen konnten. Sie nahmen an, wenn Szabó versuchen würde, Mendax

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