Der Lügner
getrockneten Zutaten der Suppe. Huhnklümpchen und harte Nüdelchen. Sehr seltsam.«
»Ich werde es ausprobieren«, sagte Adrian. »Jedenfalls …«
»Sie leeren die Packung in einen Topf, gießen einen Liter Wasser hinzu und erhitzen es.«
»Gut, klar, dann werde ich morgen mal zu Rat Man gehen und mir eine kaufen«, sagte Adrian und ging rückwärts davon.
»Nein, Rat Man hat sie nicht im Angebot!« sagte Williams. »Ich habe heute morgen mit ihm gesprochen, und er meinte, vielleicht bekommt er’s nächste Woche herein. Er will eine Zeitlang ausprobieren, ob Nachfrage danach besteht. Sainsbury’s in der Sidney Street hat große Vorräte.«
Adrian war fast an der Ecke des Courts angelangt.
»Sainsbury’s?« rief er und sah auf die Uhr. »Gut. Das müßte ich noch schaffen.«
»Ich hatte die gute Idee, ein Ei hinzuzufügen«, schrie Williams zurück. »Das wird in der Suppe pochiert. Ungefähr wie eine italienische
stracciatella
. Überaus schmackhaft. Ach, Sie werden bemerken, daß Sainsbury’s im selben Regal Gemüsesuppe anbietet, ebenfalls von Knorr. Es ist ziemlich schwer, die beiden Packungen auseinanderzuhalten, aber vergewissern Sie sich, daß Sie Huhn mit Nudeln nehmen …«
Adrian bog um die Ecke und flitzte zu seinem Zimmer. Er konnte hören, wie Williams’ Stimme ihm noch fröhlich nachrief, es nicht aufkochen zu lassen, da dies den Geschmack beeinträchtigen würde.
Vielleicht hatte Trefusis mit Nichtlügen das gemeint. Williams schwärmte nicht von seiner dämlichen Suppe, um respektiert oder bewundert zu werden, er wollte wirklich nur ernsthaft empfundene Begeisterung weitergeben. Adrian wußte, daß er sich niemals so ungefilterte Offenheit würde zuschulden kommen lassen, aber, verdammt noch mal, das würde er sich nicht auch noch vorwerfen lassen. Gary hörte Abbas
Greatest Hits
und blätterte in einem Buch über Miró, als Adrian hereinkam.
»Hallo, Schatz«, sagte er. »Ich hab grad Wasser aufgesetzt.«
Adrian ging zur Stereoanlage, nahm die Platte ab und schleuderte sie durchs offene Fenster. Gary sah zu, wie sie über den Court segelte.
»Was ist denn mit dir los?«
Adrian holte die Belege von Helfers und Barclaycard aus der Tasche und breitete sie auf Garys Buch aus.
»Bist du dir darüber im klaren, daß Diebstahl, die Wegnahme fremder beweglicher Sachen durch Vorspiegelung falscher Tatsachen sowie Fälschung allesamt ernste Straftaten sind?« fragte er.
»Ich geb’s dir zurück.«
Adrian ging zu seinem Schreibtisch und öffnete eine Schublade. Seine Heffers- und Visakarten fehlten.
»Schließlich hättest du es mir wenigstens sagen können.«
»Es käme mir nie in den Sinn, so vulgär zu sein.«
»Nun, ich möchte auch nicht vulgär erscheinen, aber du schuldest mir jetzt insgesamt …« Adrian blätterte in seinem Notizbuch, »sechshundertachtzehn Pfund und dreiundsechzig Pence.«
»Ich hab doch gesagt, ich geb’s dir zurück, klar?«
»Fragt sich bloß, wie.«
»Du kannst dir das Warten leisten. Du solltest froh sein, daß du einem Angehörigen der Arbeiterklasse einen Gefallen tun kannst.«
»Und du solltest zuviel Stolz haben, um mir das zu erlauben … um Gottes willen!«
In einem Zimmer auf der anderen Seite des Courts sangen Abba
Dancing Queen
. Adrian warf das Fenster zu.
»Das wird dich lehren, Sachen aus dem Fenster zu schmeißen«, sagte Gary.
»Das wird mich lehren,
keine
Sachen aus dem Fenster zu schmeißen.«
»Angenommen, ich geb’s dir in Porträts zurück?« –
Adrian sah sich im Zimmer um. Die Wände waren mit Dutzenden verschiedener Porträts seiner selbst bedeckt. In Öl- und Wasserfarben, als Gouachen, Grisaillen, Feder-, Kreide-, Silberstift- und Kohlezeichnungen, Pastelle, Airbrush-acryle, Buntstift- und sogar Kugelschreiberzeichnungen, die im Stil vom Neoplastizismus bis zum Fotorealismus reichten.
Man hatte ihm keine Wahl gelassen, als es um Zimmerpartner ging. Gary und er waren bei einem Losverfahren zusammen gezogen worden, und da saßen sie nun. Seine Bondage-Hosen, sein hennagefärbtes Haar und die schiere Kantine an Besteck, die ihm an den Ohren baumelte, brüllten der ganzen Welt zu, daß Gary ein Punk war, der einzige in St. Matthew’s und damit eine so faszinierende und erschreckende Ergänzung des Colleges wie der moderne Stafford Court am andern Flußufer. Gary belegte mittelalterliche und moderne Sprachen, hatte aber vor, bald zu Kunstgeschichte zu wechseln: Bis dahin brachte er seine Ergebenheit Adrian gegenüber –
Weitere Kostenlose Bücher