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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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man uns bei, nur das Äußere und Sichtbare zu ehren. Gruslige Buchkritiker, die von Büchern als ›Objekten‹ faseln. Ja, das ist zufällig eine Erstausgabe. Übrigens ein Geschenk von Noel Annan. Aber ich versichere Ihnen, ein abgegriffenes vergilbtes
livre de poche
hätte mir dieselben Dienste geleistet. Nicht daß ich Noels Großzügigkeit nicht zu schätzen wüßte. Ein Buch ist ein Stück Technologie. Wenn die Leute sie aufhäufen und hohe Preise für dieses oder jenes zahlen wollen, schön und gut. Aber sie sollten sich nicht vormachen, das wäre eine höhere oder intelligentere Beschäftigung als das Sammeln von Schnupftabakdosen oder Kaugummibildchen. Ich kann ein Buch lesen, ich kann es als Aschenbecher benutzen, als Briefbeschwerer, als Türanschlag oder eben als Geschoß, um junge Männer zu bewerfen, die alberne Bemerkungen machen. So. Denken Sie noch mal nach.« Und Adrian hatte noch mal nachgedacht.
    Jetzt fand er den Weg zurück zu der kleinen Lichtung, wo Trefusis auf dem Sofa lag und Rauchringe zur Decke blies.
    »Auf Ihr ewiges Wohlergehen«, sagte Adrian und probierte den Madeira.
    Trefusis funkelte ihn an.
    »Werden Sie nicht unverschämt«, sagte er, »das steht Ihnen ganz und gar nicht.«
    »Nein, Herr Professor.«
    Es folgte Schweigen, an dem Adrian sich rege beteiligte.
    Im Laufe seines Lebens hatte er bereits in einigen Arbeitszimmern gestanden und mit dem Fuß Teppichmuster nachgezeichnet, während zornige Männer ihm seine Unzulänglichkeiten vorhielten und seine Zukunft ausmalten. Trefusis war nicht zornig. Genaugenommen war er direkt guter Laune. Es war offensichtlich, daß es ihm völlig gleichgültig war, was aus Adrian werden würde.
    »Als Ihr Senior Tutor bin ich Ihr moralischer Vormund«, sagte er endlich. »Ein moralischer Vormund sehnt sich nach einem unmoralischen Mündel, und siehe, der Herr hat’s gegeben. Ich werde mit Ihnen ein Geschäft abschließen, das ist es. Ich werde Sie für den Rest des Jahres ungestört und in Frieden lassen – unter einer Bedingung. Ich möchte, daß Sie sich an die Arbeit machen und etwas anfertigen, was mich überrascht. Sie sagen, Ideen können nicht erschaffen werden. Vielleicht, aber sie können entdeckt werden. Ich hege eine besondere Abneigung gegen Klischees – da! Die Wendung ›ich hege eine besondere Abneigung gegen‹ ist genau so ein ekelhafter Ausdruck, wie ich sie hasse – und ich finde, Sie sind es sich schuldig, um auf eine noch ekelerregendere Wendung herabzukommen, all Ihre Energien dem Schmieden von etwas Neuem auf dem wuchtigen Amboß Ihres großartigen Gehirns zu widmen. Ich habe seit Jahren nichts Originelles mehr produziert, die meisten meiner Kollegen leben, seit sie aus den Windeln raus sind, ohne daß überhaupt ein Gedanke je die kurze Reise durch ihr Gehirn unternommen hätte, ganzzu schweigen von einem neuen. Aber wenn Sie mir etwas abliefern können, das auch nur den Keim einer Neuigkeit enthält, den Geist eines Splitters eines Fünkchens einer Zelle einer Spur eines Jotas eines Schattens eines Teilchens von etwas Interessantem und Herausforderndem, etwas Amüsantem und Erstaunlichem, dann, denke ich, haben Sie mich dafür entschädigt, gezwungen gewesen zu sein zuzuhören, wie Sie die Ideen anderer wiederkäuten, und Sie werden sich durch diesen Handel noch einen guten Dienst erwiesen haben. Schlagen Sie ein?«
    »Ich verstehe nicht ganz.«
    »Ganz einfach! Egal, welches Thema, egal, welcher Zeitabschnitt. Es kann eine dreibändige Abhandlung sein oder ein einzelner Satz auf einem Zettel. Ich freue mich darauf, vor Semesterende von Ihnen zu hören. Das ist alles.«
    Trefusis setzte sich den Kopfhörer auf und suchte unter dem Sofa nach einer Kassette.
    »Gut«, sagte Adrian. »Äh …«
    Aber Trefusis hatte schon wieder das Taschentuch überm Gesicht und es sich zu den Klängen von Elvis Costello bequem gemacht.
    Adrian stellte sein leeres Glas ab und streckte der liegenden Figur die Zunge heraus. Trefusis’ Hand schoß hoch und salutierte auf amerikanische Weise mit dem Mittelfinger.
    Na ja, dachte Adrian, als er unterwegs zur Pförtnerloge durch Hawthorn Tree Court ging. Eine originelle Idee. Das kann ja nicht so schwer sein. Die Bibliothek ist doch voll davon.
    Beim Pförtner leerte er sein Postfach. Das Größte war ein gefütterter Umschlag mit einem von Hand geschriebenen Etikett und den Worten ›Toast per Post‹. Er öffnete ihn, und eine Minipackung Orangenmarmelade, zweiScheiben aufgeweichter Toast

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