Der Lüster - Roman
Speicher nicht ganz schlossen, bückte sich Virgínia, drückte ein Auge gegen den Boden und sah in einem merkwürdigen, tiefen Bild die beiden alten Jungfern nähen, dazu den langen, nackten Tisch, die Kaffeekanne unter einem gepolsterten Kannenwärmer, den Schmutz, die verstreuten Stoffreste – die Nähmaschine, bewegt von Henriquetas gemächlichem Fuß, surrte in der Luft, schien rundherum Staub und leichtes Licht zu streuen. Virgínia erhob sich ruckartig, presste den Handrücken gegen die aufbrausenden Lippen, und das Zimmer bebte unter der Kraft ihrer Schritte. Henriqueta schrie von unten mit einer Stimme, die von einem steten Zittern bewegt schien:
»Virgínia, das Haus stürzt ein …«
Eines Morgens – der Tag hatte regnerisch begonnen, und die Wassertropfen rannen an der Fensterscheibe hinab – kam sie spät hinunter zum Frühstück, blass und ausdruckslos, mit der resignierten und hochmütigen Ausstrahlung, die ihr die Tage bei den Cousinen verliehen hatten. Arlete sah sie kurz an. Und sagte plötzlich unvermittelt, als hätte sie sich bis dahin mühsam zurückgehalten, leise und schroff:
»Und warum nähst du nicht mit uns?«
Henriqueta unterbrach sich erschrocken, die Kaffeekanne in der Hand:
»Arlete, Arlete …«
Virgínia betrachtete die beiden stumm … Dann … dann … wollten sie also … sagte sie sich benommen vor Zorn, dann wollten die zwei sie dorthin zerren, sie unterjochen … wollten …
»Ich kann nicht nähen!«, warf sie ihnen mit unterdrückter Heftigkeit hin.
Arlete und Henriqueta wechselten einen Blick, in dem erst übertriebenes Erstaunen lag und dann ein Ausdruck, als könnten sie die Komik der Situation nicht überspielen.
»Aber das zeigen wir dir doch!«, rief Arlete und hob die versehrte Brust.
Virgínia erbleichte, schloss die verdunkelten Augen zu einem Spalt. Mein Gott, woher kam ihr diese Kraft, sie war doch immer besonnen gewesen … In diesem Augenblick hasste sie die beiden Alten mit einer solchen Lust, dass sie eingetaucht in eine dunkle, außerordentliche Empfindung von Tiefe und Sünde einfach irgendwas sagte, ja, ja …
Und so war sie gezwungen, sich hinzusetzen und an der Seite der beiden zu nähen. Ihre ungeschickten Hände setzten grobe Stiche, die Augen Richtung Fenster. Henriqueta löste behutsam ihre Knoten auf und gab ihr den Stoff wieder zurück. Arlete beobachtete sie mit zusammengekniffenen Augen, das kränkliche Gesicht belebt von Freude. Virgínia konnte blass werden vor Hunger, die Uhrzeiten für Mittag- und Abendessen ließen sich nicht verlegen. Wenn es eins schlug, stand Henriqueta auf, legte die Näharbeit auf den Stuhl und ging langsam zu der hohen, sich in Düsterkeit verlierenden Speisekammer. Sie öffnete die kleinen Türen und holte ein paar Kleinigkeiten hervor, kalt und geruchlos. Der Kaffee wurde aus der Küche gebracht und mit einer seltsamen Kapuze abgedeckt, die aussah, als ob sie Augen hätte und lachte, dick von Staub. Das Nähzimmer selbst roch nach feuchtem Staub, nach Schimmel, neuen Stoffen und Kaffee mit kalten Süßkartoffeln. Virgínia erhob sich vom Mittagessen hungrig und angewidert, sie spürte, wie ihr Körper unbeherrschbar und jung nach mehr verlangte, voller Jähzorn. Unterdessen wurde sie älter, verlor an Farbe und war eine Frau.
Am Sonntagnachmittag arbeiteten sie nicht, und im Haus wurde es still – Henriqueta setzte sich hinten in den Hof, die Hände verschränkt, und ruhte sich aus. Virgínia war inzwischen ins Gärtchen gegangen. Die welken Pflanzen erinnerten sie an die Üppigkeit auf Granja Quieta, und sie atmete tief, das Gesicht in die Richtung gewandt, die sie für die des Rückwegs hielt. Aber die Stadt … wo war die Stadt? Sie fühlte in sich eine Art von Leben, bei dem ihr vor sich selbst ekelte, seufzte fortwährend vor Ungeduld, und das mischte sich mit einem wahren Hunger, der eher etwas Gewaltsames als Hunger war – sie dachte an die Mahlzeiten mit einer Heftigkeit, die sie am liebsten an Arlete ausgelassen hätte. Arlete … Zeitweise hatte sie das Gefühl, Arlete sei der einzige Grund dafür, dass sie blieb. Zwischen ihnen bestand eine Verbindung aus Groll, als wäre Virgínia für die alte Jungfer auch eine Erneuerung. Die beiden wechselten schnelle Worte, die man unterschiedlich auffassen konnte, und frohlockten, die Köpfe gesenkt, die Augen verbergend. Virgínia stand im Garten und dachte an ihre Beziehung zu Arlete, und aus ihrer Lust entstand die Gewissheit eines
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