Der Lüster - Roman
dachte, im dunklen Gefühl, nachtragend zu sein. Nur beim ersten Mal hatte ihr das Meer wirklich gefallen; danach war sie unruhig, sooft sie sich an die Mauer lehnte, um ihm zuzusehen, und nötigte sich dazu, Rührung zu empfinden. Sie fühlte sich verlogen, ohne Gedanken, aber so, als berührte sie etwas Schmutziges, die Seele, gekräuselt, wich aus, wich aus. Selten überwand sie ihre Furcht und liebte es erneut mit solcher Kraft, dass sie sich davon für immer begreiflich wurde. Inmitten dieser neuen Gefühle war sie in gewisser Weise nahe bei Daniel. Aber gegen was? ihre falsche Kraft schwand enttäuscht dahin, und bald ergriff eine sorgenvolle Traurigkeit von ihr Besitz, schon jetzt hätte sie sich am liebsten wieder in die Bewegung eingefügt, die allen gemeinsam war, sich mit ihnen gefreut, anklagend-beleidigt recht eilig in Demut, ohne irgendeine Macht, um jetzt noch von jemandem zurückgewiesen zu werden, eilig, nachdem sie mit einer unbedachten Geste versucht hatte, verrückt, sich zu befreien.
Daniel hatte Ruth nach Brejo Alto gebracht, und dort hatten sie geheiratet. Virgínia war nicht zur Hochzeit gefahren; einfach, ohne Umschweife, hatte Daniel sie informiert, ohne ihr gerade ins Gesicht zu sehen, ihr war klar geworden, dass sie nicht hinfahren müsste, und sie war nicht in der Stadt geblieben wie jemand, der sagt: Ich bleibe da; sie war zurückgeblieben, ohne daran zu denken, ob sie fuhr oder nicht. Der Vater wusste, dass sie ihre Kurse besuchte; und wer weiß?, es könnte sich auch eine Heirat ergeben. Aber sie kannte niemanden, bis auf die beiden alten Cousinen, Vicente gab es kaum, sie war nun allein in der Stadt, in dem Zimmer hoch oben im dritten Stock. Gefolgt war eine Zeit, die man gewiss, ja, als sehr traurig bezeichnen konnte. Unvermittelt, wie wenn eine Ader zu pochen beginnt, hatte sie begonnen, die Wirklichkeit der Wohnung zu leben, die von Daniel verlassen war und gleichsam leer von ihr selbst, denn ihre engen Bewegungen und ihr zerschlissenes Leben genügten nicht, um die Räume zu füllen mit Geräusch und Durcheinander. Bis ihr die Möglichkeit einfiel, dass sie doch bei den beiden Cousinen wohnen könnte. An jenem Morgen machte sie sich bereit, wusch sich und packte die Koffer, als wäre das nun die dunkle Einwilligung, ins Internat zu gehen, mit dem man ihr als Kind gedroht hatte. Sie nahm ein Taxi und warf, während sie sich die Nase putzte, einen letzten Blick auf das viereckige, helle alte Gebäude, in dem sie und Daniel zum letzten Mal Geschwister gewesen waren. Der Wagen schlenkerte wild, die Koffer drohten auf sie zu fallen und sie zu verletzen – sie dachte daran, wie sie die Wohnung für Daniel gehütet, wie sie auf ihn gewartet hatte, um eine Kleinigkeit zu Abend zu essen, wie diese Erinnerung jetzt seltsam und wenig vertraut war und wie sie sich jetzt in etwas stürzte, das so neu war wie ein neuer Körper und wo sie sich nicht vorstellen konnte, auf lange Zeit hinaus zu sein. Mit geheimem Entsetzen sann sie nach und sah sich Esmeralda in gewisser Weise immer ähnlicher – das Schicksal der Mutter nachahmend; endlich fuhr der alte Wagen in die staubige Straße ein. Der Vormittag zog auf. Bald würde sie das ärmliche Haus sehen, das sie nur schnell besucht hatte, in Angst, sich anzustecken, ganze zwei Mal in all der langen Zeit in der Stadt. Es war eines jener Häuser, wo man versuchte, sich auf die Stuhlkante zu setzen, sich dabei ertappte, dass man es vermied, die Vasen anzufassen, und ein Glas Wasser bedächtig bis zur Hälfte leerte. In den düsteren, in keiner Weise außergewöhnlichen Räumen gab es etwas, das in Erstaunen versetzte und wachsam machte, weil darin eine Intimität lag, die einen einhüllte, unvertraut – wie eine verschmutzte Badewanne bei Fremden, und man müsste sich entkleiden und brüsk in Berührung kommen. Die Cousinen, Arlete und Henriqueta, kamen ihr immer mehr wie ein Irrtum und eine Lüge vor – jetzt, da sie sich ihrer Wirklichkeit so sehr annäherte. Armut und Alter. Sie betätigte die Klingel wie nach einer langen Reise. Na gut, jetzt ist der Spaß vorbei – das war ihr Gefühl, und es überraschte sie, weil sie schon vor so langer Zeit aufgehört hatte, die Dinge so zu empfinden. Ihr Vater war sicher froh in dem Wissen, dass wenigstens ein Teil der Familie ein ausreichend großes Haus hatte, um seine Tochter aufzunehmen, sie die Verwandtschaft näher kennenlernen zu lassen – »und keinen Grund zu haben, sich der Familie zu
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