Der Lustmolch
sie, warum sie überhaupt hergekommen war, und ließ sich von dieser Welle mitreißen. Sie stach noch einmal in den Trailer, und wieder schwappte diese Welle über sie hinweg, diesmal sogar noch intensiver. Da war keine Furcht, keine Anspannung, nur das sichere Gefühl, daß sie exakt da war, wo sie hingehörte - wo sie schon immer hingehörte. Sie ließ das Schwert fallen und sich von diesem Gefühl überwältigen.
Der milchige Film über den beiden Fenstern an der Schmalseite des Trailers schien sich zu heben und den Blick frei zu geben auf die schlitzartigen Pupillen zweier goldfarbener Augen. Dann ging die Tür auf: Sie öffnete sich in halber Höhe und glitt nach unten und oben auf wie ein Mund. Molly machte auf dem Absatz kehrt und rannte davon, doch noch im Rennen fragte sie sich, warum sie nicht dort bei dem Trailer geblieben war, wo sie sich so rundum wohl gefühlt hatte.
ESTELLE
Estelle trug einen Fedora aus Leder, eine Sonnenbrille und eine einzelne lavendelfarbene Socke. Auf ihrem Gesicht leuchtete ein schwaches, zufriedenes Lächeln. Irgendwann, nachdem ihr Ehemann gestorben war - nachdem sie nach Pine Cove gezogen war und angefangen hatte, Antidepressiva zu nehmen, nachdem sie aufgehört hatte, sich die Haare zu färben oder sich um ihre Garderobe zu kümmern -, hatte Estelle geschworen, daß niemals wieder ein Mann sie nackt sehen würde. Damals war ihr dies als ein faires Geschäft erschienen: Fleischeslust, wovon es soviel nicht gab, gegen Süßigkeiten ohne schlechtes Gewissen, und davon gab es reichlich. Nun, da sie ihren Schwur gebrochen hatte und unter ihrem Federbett neben diesem verschwitzten, sehnigen alten Mann lag, der mit seiner Zunge an ihrer linken Brustwarze herumschleckte (wobei es ihm offensichtlich nichts ausmachte, daß besagte Brustwarze sich auf ihrem Sockel doch eher seitlich in Richtung Arm neigte, anstatt senkrecht wie die Kuppel des Taj Mahal gen Himmel aufzuragen), hatte
Estelle das Gefühl, endlich das Lächeln der Mona Lisa zu verstehen. Mona hatte wohl gerade von dem einen genascht, ohne auf ihre Süßigkeiten zu verzichten.
»Du bist mir mal ein Geschichtenerzähler«, sagte Estelle.
Eine feingliedrige schwarze Hand kroch Estelles Schenkel hinauf wie eine Spinne und verharrte mit dem Zeigefinger auf der feuchten Stelle, wo es am schönsten war. Estelle wurde von einem Schauder gepackt. »Ich bin noch nicht fertig«, sagte Catfish.
»Ach nein? Und was war dieses >Halleluja, mein Gott, endlich zu Hause!< und das Gebell danach?«
»Ich bin mit der Geschichte noch nicht fertig«, sagte Catfish mit bemerkenswert klarer Aussprache angesichts der Tatsache, daß er seinen Schleckrhythmus unbeirrt beibehielt.
Mundharmonikaspieler, dachte Estelle und sagte: »Entschuldige, ich weiß auch nicht, was über mich gekommen ist.«
Sie wußte es wirklich nicht. Gerade hatten sie noch Tee mit Schuß getrunken, und im nächsten gab es eine Explosion, und sie hatte ihre Lippen auf seine gepreßt und nur noch leidenschaftliche Klagelaute von sich gegeben wie ein Saxophonist, der mit aller Inbrunst sein Instrument bearbeitet.
»Ich hab mich ja auch nicht gewehrt«, sagte Catfish. »Wir haben noch viel Zeit.«
»Ach ja?«
»Klar, aber von jetzt an mußt du für mich aufkommen. Deinetwegen bin ich den Blues los, und ich hab so das Gefühl, als würd er nicht wieder zurückkommen. Dadurch bin ich auch meinen Job los.«
Estelle senkte den Blick und sah Catfish im gedämpften orangefarbenen Licht grinsen. Sie grinste zurück. Dann fiel ihr ein, daß sie überhaupt keine Kerzen angezündet hatten und daß sie keine orangefarbenen Glühbirnen hatte. Irgendwann im Verlauf des Handgemenges auf dem Weg von der Küche ins Schlafzimmer, als sie sich die Kleider vom Leib gerissen und ihre Hände das nackte Fleisch des anderen betastet hatten - irgendwann um den Dreh hatten sie das Licht ausgeschaltet. Der orangefarbene Schimmer drang durch das Fenster am Fußende des Betts.
Estelle richtete sich auf. »Die Stadt brennt.«
»Das ist hier drin«, sagte Catfish.
Sie zog das Laken hoch, um sich zuzudecken. »Wir müssen was unternehmen.«
»Ich hätte da schon so 'ne Idee.« Er bewegte seine Spinnenfinger ein wenig, und schon richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes als das Fenster.
»Schon wieder?«
»Kommt mir auch 'n bißchen schnell vor, Mädchen, aber ich bin alt, und es könnte das letzte Mal für mich sein.«
»Was für ein reizender Gedanke.«
»Ich bin ein
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