Der Lustmolch
wurmbefallenen Herde untertauchen, bis seine Kiemen geheilt waren, und dann vielleicht zum Dank eines der Weibchen durchrammeln. Im Augenblick jedoch versetzte ihm der Gedanke an das schnurrende Weibchen mit den silbernen Flanken noch immer Stiche im Herzen. Er brauchte Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen.
Das Seeungeheuer glitt die Böschung hinauf zu einem freien
Platz inmitten der Herde, klemmte Schwanz und Beine unter den Bauch und nahm die gleiche Gestalt an wie die Tiere der Herde. Die Verwandlung war schmerzhaft und kostete es mehr Mühe, als es gewohnt war, doch nach ein paar Minuten war es vollbracht, und das Seeungeheuer schlief leise ein.
MOLLY
Nein, so hatte sie sich das nicht vorgestellt. Sie hatte aufgehört, ihre Medikamente zu nehmen, weil sie davon Schüttelfrost bekommen hatte, und sie war durchaus gewillt, sich mit den Stimmen herumzuschlagen, falls sie wieder zurückkehrten. Aber das war zuviel. Mit so was hatte sie nicht gerechnet. Sie war schwer versucht, zu ihrer Kochnische zu rennen und eine ihrer blauen Pillen zu schlucken (Stelazine - Vernunft- Schlümpfe, wie sie sie nannte), um zu sehen, ob sich damit die Halluzination vertreiben ließ, aber sie konnte sich einfach nicht vom Fenster ihres Trailers losreißen. Es war einfach zu abgedreht. Konnte es sein, daß da draußen ein riesiges, angekokeltes Monstrum aus dem Bachbett kroch? Und wenn ja, hatte sie gerade mit angesehen, wie es sich in einen extrabreiten Trailer verwandelt hatte?
Halluzinationen - das war eines der Symptome von Schizophrenie. Molly hatte eine Liste aller Symptome. Um genau zu sein, sie hatte die lose Blattsammlung von DSL-IV - Diagnostischer und Statistischer Leitfaden, vierte Auflage, das Buch, mit dessen Hilfe Psychiater Geisteskrankheiten diagnostizieren - von Valerie Riordan gestohlen. Dem DSL-IV zufolge mußte man zwei von fünf Symptomen aufweisen. Halluzinationen waren eines davon. Okay, das konnte sein. Aber Wahnvorstellungen? Kam nicht in die Tüte. Wie konnte sie an Wahnvorstellungen leiden, wenn sie wußte, daß sie Halluzinationen hatte? Nummer drei war wirre Sprache oder Inkohärenz. Das konnte sie ja mal versuchen.
»Hallo, Molly, wie geht's denn so?« fragte sie.
»Nicht besonders, aber danke der Nachfrage. Ich mache mir Sorgen, daß meine Sprache wirr und inkohärent sein könnte«, erwiderte sie.
»Na ja, für mich hörst du dich prima an«, kam die höfliche Antwort.
»Danke dafür, daß du das sagst«, erwiderte sie voll ernsthafter Dankbarkeit. »Ich denke mal, mit mir ist alles bestens.«
»Dir geht's prima. Klasse Arsch, übrigens.«
»Oh, danke, aber deiner ist auch nicht schlecht.«
»Siehst du. Kein bißchen wirr oder inkohärent«, erklärte sie, ohne zu bemerken, daß die Unterhaltung vorüber war.
Symptom Nummer vier war hochgradig unorganisiertes bis katatonisches Verhalten. Sie schaute sich in ihrem Trailer um. Das Geschirr war größtenteils abgespült, die Videobänder ihrer Filme waren chronologisch geordnet, und ihr Goldfisch war immer noch tot. Fehlanzeige, hier gab's nichts, was unorganisiert gewesen wäre. Schizo gegen Klar-im-Kopf 1:3.
Nummer fünf, negative Symptome, wie beispielsweise affektive Verflachung, Alogie oder Avolition. Nun ja, bei einer Frau über vierzig verflachten die Affektionen nun mal ein bißchen, aber sie war sich so sicher, daß die beiden anderen Symptome nicht auf sie zutrafen, daß sie sich erst gar nicht die Mühe machte, sie nachzuschlagen.
Dann war da allerdings noch eine Fußnote: »Sollten die Wahnvorstellungen bizarrer Natur sein oder die Halluzinationen eine Stimme beinhalten, die einen fortlaufenden Kommentar zum Verhalten der betreffenden Person liefert, so genügt ein einziges der aufgeführten Kriterien.«
Aha, dachte sie. Wenn ich einen Erzähler habe, bin ich absolut durchgeknallt. In den meisten der Kendra-Filme hatte es einen Erzähler gegeben. Denn dadurch ließ sich die Geschichte besser zusammenhalten, die in einer Zukunft nach dem Atomkrieg spielte, in Wirklichkeit aber in einem verlassenen Tagebaugebiet in der Nähe von Barstow gedreht worden war. Außerdem ließ sich eine Erzählstimme ohne große Probleme in andere Sprachen übertragen, denn man mußte nicht darauf achten, daß die Übersetzung lippensynchron war. Also lautete die Frage, die sie sich nun zu stellen hatte: »Habe ich einen Erzähler?«
»Nie im Leben«, sagte der Erzähler.
»Scheiße«, sagte Molly. Just in dem Augenblick, wo sie sich damit
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