Der Maedchenmaler
Termine geplant. Ganz allmählich war sie ihm unentbehrlich geworden.
»Das ist Judith, meine rechte und linke Hand«, so stellte er sie manchmal vor.
Und tatsächlich war sie das. Seine rechte Hand. Und seine linke. Er kümmerte sich nämlich bald um gar nichts mehr, nur noch um seine Malerei.
»Halt mir die Leute vom Leib«, sagte er. Und verkroch sich in seinem Atelier. Oft für Stunden, manchmal für Tage.
Judith tat, was sie konnte. Immer in dem Gefühl, es sei nicht genug. Wenn er sehr müde aussah, gab sie sich die Schuld. Sie hätte besser für ihn sorgen müssen, hätte ihn überreden sollen, sich zu entspannen, hätte ¦
Ob er sie nur deshalb nicht wirklich wahrnahm, weil es ihr nicht gelang, perfekt zu sein? Viele Männer hatten sich schon in sie verliebt. Ihr Haar war lang und blond und hatte, wenn Licht darauf fiel, einen silbrigen Glanz. Ihre Haut war hell und makellos, ihr Körper schlank und durchtrainiert. Sie investierte viel Zeit im Fitnessstudio, um... ja, um was?
Um Ruben auf sich aufmerksam zu machen. Um ihm zu zeigen, dass sie mehr war als das Mädchen, das sein Leben organisierte. Aber er bemerkte sie nicht. Nicht wirklich. Wenn er sie ansah, war es, als schaue ein Bruder seine Schwester an. Da war Zuneigung, Nähe, Vertrauen, aber es fehlte das, was sie sich am meisten ersehnte: Begehren.
Egal wie sorgfältig sie sich anzog, es ließ ihn kalt. Miniröcke, hautenge Hosen, transparente Blusen, schmeichelnde Stoffe, sie hatte alles ausprobiert. Gegen
das Mädchen
kam sie nicht an.
Wie sie da so im Garten stand und ihn beobachtete, zog sich etwas in ihr zu einem kleinen, schmerzenden Punkt zusammen. Sie schlang die Arme um den Körper. Sieben Grad unter Null. Ihr Atem stand weiß vor ihr in der frostigen Luft.
Nicht mal über ein langes Wochenende konnte sie ihn allein lassen. Sogar von hier aus erkannte sie, dass er abgenommen hatte. Er magerte schnell ab. Ein paar Tage ohne regelmäßige Mahlzeiten, und seine Wangen wirkten wie eingefallen. Sie riss sich zusammen und durchquerte eilig den Garten.
Er sah sie, bevor sie klopfen konnte, und machte ihr die Tür auf.
»Um Himmels willen, Judith, du bist ja ganz durchgefroren!«
Er zog sie an sich, rieb ihr den Rücken. Die plötzliche Nähe machte ihr zu schaffen. Sie roch Farbe und Terpentin und nahm darunter schwach den Duft seiner Haut wahr. Ihre Wange lag an seiner Schulter. Eine Winzigkeit weiter nach rechts, und sie könnte seinen Hals küssen und ¦
Rasch machte sie sich von ihm los.
Er sah schlecht aus, blass, überarbeitet und dünn. Die Haut unter seinen Augen hatte eine bläulich violette Färbung angenommen, wie immer wenn er zu wenig geschlafen und gegessen hatte. Sein linkes Augenlid zuckte. Er schien unter großem Stress zu stehen.
»Wann hast du zum letzten Mal was gegessen?«, fragte sie.
Er zuckte mit den Schultern.
»Heute? Gestern?«
Er antwortete nicht, wich ihr aus, wie immer. Seufzend sah sie sich um. An den Wänden entlang standen neue Bilder aufgereiht, zum Teil fertig, zum Teil erst angefangen. Er musste pausenlos gearbeitet haben.
»Und wann hast du geschlafen?«, fragte sie.
»Herrgott noch mal! Ist das hier die Inquisition oder was? Ich hab ein Brot gegessen. Und Tee getrunken. Heute.«
Er konnte sie im einen Augenblick anbrüllen und im nächsten zerknirscht um Verzeihung bitten. Sie hatte sich daran gewöhnt. Trotzdem meldete sich manchmal leise die Angst in ihr. Wenn er die Beherrschung verlor, dann war er nicht mehr er selbst. Einmal hatte er einen Stuhl an der Wand zerschlagen und einmal den Küchentisch zertrümmert.
Dann wieder war er ganz sanft. Konnte sie mit seiner freundlichsten Stimme umschmeicheln, sie mit einem Lächeln entwaffnen. Sie war ihm ausgeliefert. Und froh, dass er nichts davon zu wissen schien.
Ruben wusste kaum etwas über sie. Er nahm keinen Anteil an den Menschen, blieb auch in persönlichen Gesprächen seltsam unberührt. Als wäre er ein Wesen von einem fremden Stern, ausgestattet mit einer vollkommenen menschlichen Hülle, innerlich jedoch ganz und gar leer.
»Was hältst du von einem schönen heißen Tee und Rührei mit Schinken und Pilzen?«
Sie wusste, dass er dazu nicht Nein sagen würde. Mit Rührei konnte man ihn immer locken und mit Tee sowieso. Außerdem hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er sie angeschnauzt hatte. Er würde ihr jetzt so leicht nichts abschlagen.
»Okay.« Er nickte gleichgültig und wandte sich dem Bild auf der
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