Der Maedchenmaler
Ruben fühlte sich krank und ausgelaugt. Seine Augen brannten, seine Lippen waren trocken. Er sehnte sich nach seinem Bett und wusste doch, er würde nicht schlafen können.
Das Brot schmeckte ihm nicht. Trotzdem aß er es auf. Er durfte seinen Körper nicht unnötig schwächen. Er musste gesund bleiben, denn er hatte ein großes Ziel. Im Geist ging er noch einmal die nächsten Tage durch. Die Möbel für die unteren Räume würden geliefert werden, zuerst die Küchenmöbel, dann die anderen.
Auch für die oberen Räume hatte Ruben ein paar schöne Stücke gefunden. Einen alten Bücherschrank für das Wohnzimmer, eine bemalte Bauernkommode für das Esszimmer, ein großes, schlichtes Bett. Er hatte schon eine Nacht im Haus verbracht und in dem neuen Bett geschlafen. Eigentlich hatte er vorgehabt, es vor der ersten Nacht mit Ilka nicht anzurühren, doch dann hatte ihn die Vorstellung überwältigt, Ilka auf diese Weise näher zu sein.
Er hatte alles ausprobiert. Partys besucht, sich in der Szene herumgetrieben, Mädchen mit nach Hause gebracht. Hin und wieder hatte er sich sogar auf eine Liebesgeschichte eingelassen. Es war ja nicht so, dass er den Frauen nicht gefallen hätte, ganz im Gegenteil. Sie boten sich ihm sogar an. Aber etwas fehlte jedes Mal. Oder war zu viel. Zu wenig Sinn für Humor. Zu viel Eitelkeit. Ein zu lautes Lachen.
Oft waren einfach die Proportionen verschoben. Eine Frau konnte sehr anziehend sein und das Wesentliche nicht erkennen. Sie konnte intelligent sein und keinerlei Gespür für Bilder haben. Über all das, dachte Ruben, könnte ich hinwegsehen. Wenn es Ilka nicht gäbe.
Er stand auf, ging in die Küche und machte sich noch eine Tasse Tee. Er trank ihn am liebsten stark und süß, vor allem dann, wenn er erschöpft war. Wärme schien durch seine Glieder zu fließen und ihn zu entspannen, während das Koffein die Spannung in seinem Kopf wieder aufbaute und der Zucker ihn kräftigte.
Die Tasse in der Hand, trat er ans Fenster und sah hinaus. Die Skulpturen, die er hier und da aufgestellt hatte, waren von Grünspan überzogen, verwitterte Figuren, die dem Garten etwas Geheimnisvolles gaben. Er würde sie zurücklassen. Sie gehörten zu dem abgeschlossenen Teil seines Lebens.
Er ging zurück ins Atelier, atmete den unvergleichlichen Geruch der Farben und Lösungsmittel ein. Nicht mehr lange, dachte er und griff nach Palette und Pinsel. Nicht mehr lange, und ich habe sie vor mir, wann immer ich sie malen will. Er lächelte, spürte das Lächeln und freute sich daran.
Er war so beschäftigt, dass er sie nicht bemerkte. Judith blieb eine Weile an der Mauer zum Nachbargrundstück stehen und beobachtete ihn. Er stand im hellen Licht der Lampen, und seine raschen Bewegungen zeigten, dass er mitten in einem Schub war. So nannte sie es für sich. Wenn er in einem Schub war, hatte es keinen Sinn, ihn anzusprechen, dann antwortete er mechanisch, ohne den Sinn seiner eigenen Worte zu begreifen.
Seit gut zwei Jahren hatte sie diesen Job bei ihm. Das heißt, ein einfacher Job war es längst nicht mehr. Eigentlich beanspruchte Ruben sie rund um die Uhr. Judith hatte nicht gewusst, worauf sie sich da einließ, als sie sich bewarb. Damals. Es schien ewig her zu sein.
Er hatte ihr auf Anhieb gefallen. Vor allem seine dunkle, weiche Stimme. Die war ihr unter die Haut gegangen. Noch heute hatte sie diese Wirkung auf sie. Dabei war überhaupt nicht wichtig, was Ruben sagte. Er brauchte sich nur zu räuspern oder vor sich hin zu summen, und schon war sie verloren.
Gleich zu Anfang hatten sie beschlossen, einander zu duzen. Ruben war ja nicht viel älter als sie. Es hatte sie zutiefst beeindruckt, dass er in so jungen Jahren bereits ein dermaßen erfolgreicher Maler war. Sein Geld und seine Selbstsicherheit hatten sie zunächst eingeschüchtert. Aber Ruben hatte bloß gelacht.
»Geld!« Er hatte verächtlich den Mund verzogen. »Geld ist nur aus einem Grund wichtig - es schenkt dir Freiheit. Du kannst dir alles erlauben, kannst tun und lassen, was du willst. Und du kannst dir jeden Traum erfüllen.«
Bei den letzten Worten war seine Miene grimmig geworden. Aber dann war wieder dieses Lächeln über sein Gesicht geglitten. Wenn er lächelte, wurde die Welt gleich ein bisschen schöner.
Anfangs hatte Judith nur geputzt. Dann war immer mehr hinzugekommen. Sie hatte sich um Rubens Post gekümmert, seine Einkäufe erledigt, für ihn gekocht, die Telefongespräche angenommen, seine
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