Der Maedchenmaler
ist das Mädchen geblieben, in das ich mich damals verliebt habe? Sie zeigte anklagend auf ihre Armbanduhr, als befürchtete sie, ihre Worte allein hätten zu wenig Gewicht.
»Du erinnerst dich doch an Jette Weingärtner«, sagte Bert. Er hatte ihr viel über den Fall erzählt. »Es ist möglicherweise wieder ein Mädchen verschwunden.«
»Wieder? Aus ihrer Wohngemeinschaft?«
Bert hatte keine Lust auf langatmige Erklärungen. Er wollte das Gespräch mit Jette und Merle hinter sich bringen, um wenigstens noch einen Teil des Abends bei einem Glas Wein genießen zu können.
»Nicht direkt«, sagte er. »Allerdings aus ihrem engsten Umfeld.«
»Sehr eigenartig.«
»Es gibt solche Zufälle, selten zwar, aber es gibt sie.«
»Und das hat nicht Zeit bis morgen?«
»Ich habe ihr damals angeboten, dass sie sich jederzeit melden darf, wenn sie meine Hilfe braucht. Ich habe nicht von ihr verlangt, sich an meine Bürostunden zu halten.«
Gekränkt ließ Margot ihn stehen. Bert griff seufzend nach seinem Mantel. Er wusste, dass sie im Augenblick nicht zugänglich war. Vielleicht beruhigte sie sich während seiner Abwesenheit, vielleicht nicht. Nach all den Jahren war er immer noch nicht in der Lage, ihre Reaktionen einzuschätzen.
Die Fahrt dauerte keine zehn Minuten. Es war kaum Verkehr auf den Straßen. Als hätten alle Menschen von der Kälte des Winters die Nase voll und blieben zu Hause. Er fand einen Parkplatz direkt vor dem Haus der Mädchen, hastete zum Eingang und klingelte.
Das schummrige Licht im Treppenhaus legte sich ihm aufs Gemüt, ebenso wie die Schmierereien an den schäbigen Wänden. Die ausgetretenen Treppenstufen knarrten. Auf den Fensterbänken der Zwischenetagen kränkelten ausgemergelte Zimmerpflanzen vor sich hin.
Bert gab sich Mühe, sie zu ignorieren. Er zwängte sich an achtlos abgestellten Kinderwagen und Tretrollern vorbei und war froh, dass er die Phase solchen Wohnens hinter sich gelassen hatte.
Jette wartete schon an der Tür. Sie führte ihn in die Küche, wo Merle damit beschäftigt war, Kaffee zuzubereiten. Ein schlaksiger junger Mann füllte gerade Gebäck in eine Schale.
»Das ist Mike«, sagte Jette. »Hendriks«, fügte sie hinzu, als ihr klar wurde, wie wenig Bert bisher über ihren neuen Mitbewohner wusste.
Der junge Mann begrüßte ihn mit einem so flehenden Blick, dass Bert nicht anders konnte, als ihn sofort ins Herz zu schließen. Er zog den Mantel aus und Mike nahm ihn und trug ihn hinaus zur Garderobe.
Merle brachte den Kaffee, sie setzten sich an den Tisch und Bert legte Notizbuch und Kugelschreiber zurecht. »Dann fangen Sie mal an«, sagte er.
»Ich will wirklich nur mit dir reden«, sagte Ruben und schloss die Tür.
Ilka kauerte auf dem Bett, eingehüllt in die Wolldecke, als wäre ihr kalt, dabei war es angenehm warm im Zimmer.
»Warum bin ich hier?«
Sie streifte die Decke von den Schultern, zog ihren Pulli glatt und setzte sich aufrecht hin. Als wollte sie Ballast abwerfen, um rasch aufspringen zu können, falls es nötig sein sollte. Sie sah elend aus, ihre Haare waren verklebt von dem verschütteten Betäubungsmittel und ihre Haut wirkte stumpf.
»Du bist so argwöhnisch«, sagte Ruben. Er stand immer noch an der Tür, um sie nicht zu erschrecken.
»Ist das ein Wunder?«
Er ging nicht darauf ein. Ihm war nicht nach einer Diskussion zumute. Er wollte die Freude darüber auskosten, dass alles überstanden war.
»Du weißt doch, dass du mir vertrauen kannst«, sagte er. »Ich würde dir niemals wehtun.«
»Und das hier?« Sie hielt ihm die Handgelenke entgegen, an denen das Klebeband rote Druckstellen hinterlassen hatte.
»Das ließ sich nicht vermeiden.«
Ruben machte vorsichtig einen Schritt auf sie zu. Sofort sprang sie auf und drückte sich an die Wand. Es erschütterte ihn, sie so zu sehen, so voller Ablehnung. Er hatte sich das anders vorgestellt.
»Zeig mir deine Handgelenke«, bat er, »damit ich sie versorgen kann.«
Ilka glitt an der Wand hinunter. Die Betäubung wirkte noch immer. Sie konnte kaum die Augen offen halten.
»Nicht«, flüsterte sie. »Bitte... nicht.«
Ihr Kopf sank nach vorn. Ruben ging langsam auf sie zu und hob sie hoch. Keuchend schleppte er sie zum Bett zurück. Sie wimmerte leise. Das Geräusch verursachte einen feinen Schmerz unter seiner Schädeldecke.
Er verrieb ein bisschen Wundcreme auf Ilkas Handgelenken. Breitete sorgfältig die Decke über ihr aus. Sie reagierte nicht, war schon fast
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