Der Maedchensammler
war klar, dass er so ehrgeizig war wie immer.
Selbst wenn er den Ausweg kannte, hätte er sie am Ende des Tunnels womöglich an Julius übergeben.
Aber er wollte leben, und er war ihr nicht in diesen Tunnel gefolgt. Er hatte die Abbiegung nach links genommen. Wenn er den Ausweg wirklich kannte, dann wäre sie dumm, wenn sie stur bliebe und weiter in die andere Richtung ging. Sie hatte keine Ahnung, wie sie aus dem Tunnel herauskommen sollte. Sie würde den Weg nehmen, den er gegangen war. Er musste ja nicht wissen, dass sie ihm folgte. Sie würde ihn benutzen, so wie er sie benutzt hatte.
Sie machte kehrt und ging zurück. Die Erde wurde immer heißer unter ihren Sandalen, und die Felswände zu ihrer Rechten begannen im Dunkeln zu glühen. Von Panik erfasst, beschleunigte sie ihre Schritte.
Ihr blieb nicht mehr viel Zeit …
Keuchend schlug Jane die Augen auf.
Hitze. Sie bekam keine Luft.
Nein, das war Cira.
Jane war nicht in dem Tunnel. Sie lag zu Hause in ihrem Bett.
Sie blieb ganz still liegen und atmete mehrmals ganz tief durch.
Nach einigen Minuten beruhigte sich ihr Puls, und sie setzte sich auf. Eigentlich müsste sie sich inzwischen an diese Nachwirkungen gewöhnt haben, aber sie war jedes Mal von neuem erschrocken und entsetzt. Diesmal jedoch war es nicht so schrecklich gewesen wie sonst. Die Panik war da gewesen, aber auch Hoffnung. Cira hatte geglaubt, sie hätte eine Möglichkeit gefunden, das Glück zu ihren Gunsten zu wenden, so wie sie es immer wieder schaffte. Es ging ihr immer besser, wenn sie aktiv werden konnte.
Aber wieso war sich Jane dessen so sicher? Wer zum Teufel wusste das schon? Vielleicht hatte Antonio Recht, und Cira war Janes Spiegelbild. Es war seltsam, Ciras Namen zu kennen, ohne zu wissen, wie das möglich war. Vielleicht war Cira ja auch Ausdruck einer gespaltenen Persönlichkeit.
Nein, diese Erklärung konnte sie nicht akzeptieren. Sie war nicht verrückt, und in ihrem Kopf spukten keine Alter Egos herum. Gut, sie hatte merkwürdige Träume. Sie fügten ihr keinen wirklichen Schaden zu, und sie fand Cira faszinierend.
Jeder Traum war wie ein spannender Roman, bei dem man in jedem Satz etwas Neues entdeckte. Wenn die Geschichte hin und wieder ein bisschen zu aufregend wurde und sie völlig verängstigt aufwachte, dann gehörte das eben dazu.
Zumindest hatte sie offenbar nicht geschrien oder gewimmert, sonst wären Eve oder Joe schon angerannt gekommen. Sie stieg aus dem Bett und ging ins Bad, um sich ein Glas Wasser zu holen. Sie warf einen Blick auf den Wecker auf ihrem Nachttisch. Es war fast drei Uhr früh, in wenigen Stunden würde Eve aufstehen und anfangen zu arbeiten. Sie brauchte nicht mitten in der Nacht herzukommen, um sie zu trösten, dachte Jane. Sie würde ihr Wasser austrinken und dann ins Wohnzimmer gehen und ein bisschen auf dem Sofa mit Toby kuscheln, bis sie müde genug war, um zurück ins Bett zu gehen und zu schlafen.
Plötzlich erstarrte sie.
Irgendetwas stimmte nicht.
Sie drehte sich um und starrte auf den leeren Hundekorb neben ihrem Bett.
»Toby?«
6
Tobys rotes Halsband lag auf der obersten Verandastufe.
Langsam kniete Jane sich hin, um es aufzuheben. Da entdeckte sie den Zettel, der daran befestigt war.
Als sie sich wieder aufrichtete, hörte sie Toby heulen.
Panik ergriff sie. »Toby! Toby, komm her.«
Noch ein Heulen. Es kam von weit her. Vom anderen Ufer des Sees.
Sie lief die Verandastufen hinunter, dann blieb sie plötzlich stehen.
Ein Köder für eine Falle. Offensichtlicher konnte es nicht sein.
Sie sollte Joe und Eve rufen.
Komm allein, dann wird der Hund leben.
Was das bedeutete, war klar. Wenn sie nicht allein ging, würde Toby sterben. Wenn sie die Polizisten im Streifenwagen oder Eve und Joe informierte und die anfingen, den Wald abzusuchen, würde Toby die Nacht nicht überleben. Bei dem Gedanken drehte sich ihr der Magen um.
»Alles in Ordnung, Ms MacGuire?«
Als sie aufblickte, sah sie Mac Gunther vom Streifenwagen her auf sich zukommen.
Nein, nichts war in Ordnung, hätte sie ihm am liebsten entgegengeschrien. Toby …
Sie hielt das rote Halsband hinter ihren Rücken und rang sich ein Lächeln ab. »Alles in Ordnung, Mac. Ich will nur ein bisschen Luft schnappen. Ich konnte nicht schlafen.«
»Das kann ich verstehen.« Er lächelte mitfühlend. »Aber sagen Sie uns lieber nächstes Mal Bescheid, wenn Sie vorhaben, auf die Veranda zu gehen. Sie haben uns einen gehörigen Schrecken eingejagt.«
»Tut mir
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