Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Dass diese Frau bei der Post arbeitete, war seiner Ansicht nach eine absolute Verschwendung. Sie hätte die CIA leiten sollen.
Wie versprochen stattete sie ihm spätabends auf dem Nachhauseweg einen Besuch ab.
»Gut, wir haben nur ein Problem«, verkündete sie mit Nachdruck, knallte ihren Aktenkoffer auf den kleinen Couchtisch, schlüpfte aus der unbequemen Jacke und nahm dankbar das Glas Weißwein entgegen, das Jake ihr hinhielt.
»Du bist gerade erst hereingekommen! Willst du mir nicht erst erzählen, wie dein Tag war?«
»Ich kann nicht, Jake. Dazu ist die Sache zu wichtig für uns … ich meine, für dich. Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, wie viel wir noch üben müssen, damit du auch wirklich gut vorbereitet bist. Außerdem gibt es da etwas, das mir Sorgen macht …«
»Zum Beispiel, was ich sagen soll, wenn sie mich fragen, was ich in den letzten beiden Jahren so getrieben habe? Ja, ich weiß. Darüber habe ich lange und gründlich nachgedacht. Wahrscheinlich halte ich mich am besten an deinen Vorschlag, dass ich mir eine Auszeit genommen habe, um zu studieren. Aber wenn sie weiter nachbohren, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als reinen Tisch zu machen …«
»Nein, das ist es nicht«, fiel sie ihm ins Wort.
Sie hatten das Thema, wie sich seine Vergangenheit am besten beschönigend darstellen ließ, immer wieder erörtert. Eloise hatte da keine großen Bedenken. »Eine Auszeit, um zu studieren und meine Möglichkeiten neu zu bewerten« sei ein Satz, den sie selbst unzählige Male von so vielen Journalisten gehört hatte. Außerdem habe sie Unmengen von Vorstellungsgesprächen von der anderen Seite des Schreibtischs aus geführt und wisse deshalb aus Erfahrung, dass ein Arbeitgeber um einiges mehr am Potenzial und an der Zukunft des Bewerbers interessiert war als an seiner Vergangenheit.
»Was ist es dann?«
»Wie soll ich es am besten ausdrücken? Nimm es bitte nicht persönlich, aber es ist dein … Äußeres.«
»Was soll damit sein?«
»Äh … Jake, bis jetzt kenne ich dich tagaus, tagein nur in entweder einem schwarzen oder einem blauen T-Shirt und derselben Jeans. Zwei T-Shirts machen keinen gut angezogenen Bewerber. Das reicht nicht. Es steht eine Menge auf dem Spiel. Also musst du dein Bestes geben.«
»Oh Gott, sprich es bitte nicht aus.«
»Du brauchst einen Anzug.«
»Auf gar keinen Fall.«
»Doch.«
»Anzüge sind etwas für gefeuerte Banker und schwule Zauberkünstler im Fernsehen. Ich hatte bislang nur ein einziges Mal im Leben einen Anzug an, und zwar als ich bei meiner Verhandlung vor dem Richter stand.«
»Jake, ich führe ständig Bewerbungsgespräche. Der erste Eindruck zählt. Du musst mir vertrauen.«
Und nicht nur das. Am folgenden Samstag rief sie an und teilte ihm mit, da derzeit verhältnismäßig wenig los sei, könne sie sich kurz aus der Redaktion loseisen, um mit ihm einkaufen zu gehen.
»Was, traust du mir nicht?«, hänselte er sie am Telefon. »Hast du Angst, ich könnte mit Stonewashed-Jeans und einem Hemd aus glänzendem Stoff und der Aufschrift Megadeath nach Hause kommen?«
Er hätte schwören können, dass er ein Lächeln aus ihrem Tonfall herausgehört hatte.
»Sei einfach um halb eins am Ende der Grafton Street.«
»Spitze, da gibt es ganz in der Nähe einen Tattoo-Salon. Du kannst mir helfen, mir ein neues auszusuchen. Was hältst du von Bin Knacki und stolz darauf ?«
»Bitte sag, dass das ein Witz war …«
»Musst du das fragen?«
»Dann führ dich nicht auf wie ein Idiot und sei pünktlich.«
Es war seltsam, dachte er, von jemandem neu eingekleidet zu werden, der tatsächlich Geschmack hatte und für den Designerklamotten eine Selbstverständlichkeit waren. Er kannte die Marken nur aus den lächerlichen Fernsehshows, in denen abgemagerte Models in Sachen, die aussahen wie eine Unterhose mit Haarnetz, über Pariser Laufstege staksten. Im Knast hatten einige Jungs sich diese Sendungen angeschaut, um sich an den Models aufzugeilen. Aber meistens hatte ein Blick auf die Outfits genügt, dass sich alle vor Lachen bogen.
Und jetzt schleppte Eloise ihn in Läden, in die er sein Lebtag nie einen Fuß gesetzt hatte, und ließ ihn Kleidungsstücke anprobieren, die, wie er ihr auch sagte, am Bügel absolut tuntig und schnöselig wirkten. Doch wenn er sie anzog, standen sie ihm eigenartigerweise recht gut.
Sie beharrte darauf, dass er nach jeder Anprobe aus der Garderobe kam, damit sie ihn inspizieren konnte. Und als er in einer
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