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Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Titel: Der männliche Makel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Carroll
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trotzdem in den Druck …«
    »Ich weiß, ich weiß, ich kenne deine Sprüche. Ohne die Post stürzt der Himmel ein, und ohne dich ist die Post nicht überlebensfähig. Und falls du einmal eine Minute weniger als achtzehn Stunden am Tag arbeiten solltest, geht die ganze Welt unter. Ich sage doch nur, dass man manchmal innehalten und das Leben genießen muss. Die Friedhöfe sind voll von Leuten wie dir, die im Job unersetzlich waren. Ich meine ja nur.«
    Es tat ihm fast weh, ihren langgezogenen Seufzer zu hören.
    »Ich verstehe dich ja.« Sie nickte. »Aber ich sage mir immer, dass ich eines Tages Zeit haben werde, all die Dinge zu tun, die ich gern tun würde. Eines Tages.«
    »Was zum Beispiel?«
    »Ach, ich weiß nicht.«
    »Verdammt, natürlich weißt du es. Los, erzähl schon. Ein Tag im Traumleben von Eloise Elliot.«
    »Tja … also … in meinem Traumleben möchte ich zuerst einmal ausschlafen. Und richtige Mahlzeiten zu mir nehmen. Und einen ganzen Tag lang mein Telefon ausschalten. Und ein Buch von vorne bis hinten durchlesen. Und nachmittags ein Glas Wein trinken, wenn ich Lust dazu habe. Und wochentags ins Kino gehen, einfach so aus einer Laune heraus. Und … und … ich würde gern richtig Urlaub machen. In EuroDisney vielleicht, wo ich meine kleine …«
    Ihm fiel auf, dass sie mitten im Satz abbrach. Seltsam. Doch er schwieg.
    »Damit wollte ich sagen«, verbesserte sie sich, »dass ich das Gefühl habe, deshalb so viel zu arbeiten, weil ich, so schräg es auch klingen mag, auf diese Weise die Zeit anspare, die ich dann später einmal genießen kann. Kannst du das nachvollziehen?«
    Er trank einen großen Schluck Kaffee und nickte. »Ja, schließlich bin ich Experte im Zeitansparen.«
    Sie lächelte ihn an. »Offen gestanden«, fügte sie hinzu, »habe ich die letzten Jahre damit verbracht, darauf zu warten, dass der Sturm vorüberzieht. Eines Tages wird es doch so weit sein, oder?«
    »Im Leben geht es nicht darum, abzuwarten, bis der Sturm vorüberzieht. Man muss lernen, im Regen zu tanzen.«
    Und so schlenderten sie, ins Gespräch vertieft, bis zum Redaktionsgebäude der Post . Wenn Jake auf den Gedanken gekommen wäre, sie zu fragen, was ihr gerade so durch den Kopf ging, hätte die Antwort ihn überrascht. Denn sie war erstaunt darüber, wie angenehm sie seine Gesellschaft fand. Sie plauderte so gerne mit ihm und liebte die langen, intensiven Gespräche, bei denen sie von einem Thema zum nächsten kamen. Und obwohl ihre Vergangenheit unterschiedlicher nicht hätte sein können, hatten sie überraschend viel gemeinsam. Jeder von ihnen schlug sich auf seine eigene Weise in der Welt durch, wohl wissend, dass er letztlich siegen würde. Sie schmunzelte, wenn sie sich vorstellte, wie stolz Lily eines Tages auf ihren Vater sein würde, und war froh, ein wenig zu diesem Ergebnis beigetragen und es beeinflusst zu haben …
    »Eloise? Bist du das wirklich? Ich dachte schon, ich hätte Halluzinationen.«
    Aus ihrem Tagtraum gerissen blickte Eloise auf und sah … oh Mist, nein …
    Ruth O’Connell, die Nordirlandredakteurin der Post , neugierig wie immer.
    Nun sah sie fragend zwischen Eloise und Jake hin und her und wartete darauf, vorgestellt zu werden.
    »Äh … tut mir leid«, stammelte Eloise, den Mund voller Crêpe, und errötete wie ein Alkoholiker, der im Schnapsladen ertappt wird. »Äh … Ruth, das ist Jake, Jake, Ruth. Wir sollten jetzt besser loslegen, es gibt viel zu tun. Gehst du rein, Ruth?«
    »Jake, richtig?«, sagte Ruth und musterte ihn forschend von Kopf bis Fuß. Ihren Argusaugen entging kein Detail.
    »Richtig.« Er hielt ihr mit einem höflichen Nicken die Hand hin.
    »Ein Freund von Eloise?«
    Das war eine Fangfrage. Alle wussten, dass Eloise keine Freunde, sondern nur Feinde hatte.
    »Ja«, erwiderte Jake ruhig und blickte zu ihr hinunter. »So könnte man es bezeichnen.«
    Aus unerklärlichen Gründen errötete Eloise bei diesen Worten noch mehr. »Jetzt aber Tempo«, verkündete sie, wobei ihre Stimme vor lauter Panik um einige Töne angestiegen war. »Komm, Ruth, wir müssen.«
    »Und woher kennt ihr euch?«, fragte Ruth in ihrem reizenden nordirischen Akzent und machte nicht die geringsten Anstalten, sich zu entfernen.
    Eloise sendete einen entsetzten Blick an Jake, doch das war überflüssig. Als Experte im Deuten seiner Mitmenschen hatte er Eloises Verlegenheit längst gespürt und beabsichtigte nicht, etwas preiszugeben oder sie in der Öffentlichkeit zu

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