Der männliche Makel: Roman (German Edition)
schlimm genug, doch dann hat dieser dreckige Dreckskerl sie darauf hingewiesen … was übrigens meine größte Angst ist … dass mein Vertrag ja ohnehin bald zur Verlängerung ansteht. Deshalb sei es vermutlich das Beste, mich nicht nur auf einen anderen Posten, sondern gleich vor die Tür zu setzen. Und das hieße natürlich, dass meine Chancen, in der Branche noch einmal einen anständigen Job zu landen, auf null sänken.«
Jake lehnte sich zurück und stieß einen Pfiff aus.
»Verdammt. Wie hast du übrigens davon erfahren?«
»Ich habe meine Mittel und Wege«, erwiderte sie spöttisch. »Man hat mir die Nachricht rasch überbracht. Allerdings achte ich darauf, alles zu wissen, was in der Post vor sich geht. Das gehört zu meinem Beruf.«
»Das klingt ja ein bisschen, als würdest du in den Zeiten vor Gorbatschow beim russischen KGB arbeiten«, neckte er sie, was ihr zum ersten Mal seit ihrer Ankunft ein Lächeln entlockte.
»Und jetzt kommt die Preisfrage«, fuhr sie fort, nahm noch einen Schluck aus dem Weinglas vor sich, um ihre Nerven zu beruhigen, schlüpfte aus den Schuhen und zog die Beine an.
Es kostete Jake viel Willenskraft, den Blick von ihren langen, schlanken Beinen abzuwenden und ihr stattdessen in die Augen zu schauen.
»Ich überlege nämlich dauernd, was ich als Nächstes tun soll«, sprach sie weiter. »Seth treibt ein Vabanquespiel. Also muss ich so vorsichtig zu Werk gehen wie bei einem Schachturnier. Ja, natürlich, eines Tages werde ich dafür sorgen, dass dieses verlogene Schwein aufgehängt, sein Kopf auf einen Pfahl gesteckt und der Rest von ihm auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird. Das volle Programm also. Aber das muss warten. Momentan bleibt mir nichts anderes übrig, als mir auf die Zunge zu beißen, auf Zeit zu spielen und meinen nächsten Schachzug schlau zu planen … allerdings frage ich mich trotzdem, was zum Teufel ich in einem früheren Leben verbrochen haben könnte, um einen Widerling wie Seth Coleman zu verdienen.«
Er ließ sie einfach weiterreden, hörte ruhig und wortlos zu und ahnte ganz richtig, dass diese Frau nie und nimmer ihre innersten Gedanken aussprechen würde. Dass sie sich ihm nun anvertraute, musste also, wie er instinktiv spürte, bedeuten, dass sie an einem Wendepunkt angekommen war. Sie verschwieg ihm nichts und erzählte ihm sogar von den schrecklichen Dingen, die in der Redaktion hinter ihrem Rücken getuschelt wurden. Und dabei versuche sie doch nur, den Laden am Laufen zu halten und Arbeitsplätze zu retten. Obwohl sie sich Mühe gebe, nicht darauf zu achten, sei sie dennoch tief in ihrem Innersten verletzt. Trotz der allgemeinen Einstellung ihr gegenüber und der Gerüchte, die über sie im Umlauf seien, sei sie doch ein menschliches Wesen mit Gefühlen.
»Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?«, murmelte er.
»Was?«
»Nichts«, erwiderte er leise. »Das ist aus dem Kaufmann von Venedig . Sprich nur weiter. Was tratschen sie denn noch so über dich? Sag es, dann lachen wir darüber, und es ist gleich nicht mehr so schlimm. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.«
Inzwischen war sie den Tränen nah. Das bemerkte er daran, dass ihre Stimme leicht zitterte. Und das, obwohl sie sonst immer so tough war.
»Der letzte Spruch, danke, Seth Coleman, lautet, dass ich auf Schritt und Tritt Unglück verbreite.«
»Ich kenne den Typen zwar nicht, bin ihm nie begegnet und habe auch nicht die geringste Lust darauf, aber lass mich mal fünf Minuten in einer dunklen Seitengasse mit ihm allein.«
Sie musste lachen, obwohl ihr die Tränen in den Augen standen.
»Das ist nicht so schlimm wie damals, als er überall herumerzählt hat, ich sei gefühlsamputiert. Doch auf der Hitliste der Beleidigungen steht es ziemlich weit oben.«
»Wo ich herkomme, haben wir Mittel und Wege, solchen Idioten sehr schnell den Kopf zurechtzurücken, das kann ich dir verraten. Natürlich nichts, was zum Tode führt, nur eine kleine Abreibung. Zum Beispiel könnte man ihm eine Kniescheibe verbeulen. Du brauchst es nur zu sagen, und ich lasse es für dich erledigen. Niemand wird erfahren, dass du dahintersteckst. Dem Typen muss man eine Lektion erteilen, und ich kenne ein paar Jungs, die da nicht lange fackeln würden. Seth Coleman wird nie wieder gerade gehen.«
Für den Bruchteil einer Sekunde starrte sie ihn entgeistert an, bis sie das kecke Funkeln in seinen Augen bemerkte.
»Das war ein Scherz.« Sie lächelte schief.
»Natürlich war das ein Scherz.
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