Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Glaubst du, ich würde mich je wieder mit diesen Leuten abgeben?«
Diesmal grinste sie breit, und wie immer fand er, dass sie sofort etwa zehn Jahre jünger und viel weicher wirkte.
»Eloise, beantwortest du mir noch eine Frage?«
Verdammt, es beschäftigte ihn, weshalb es das Beste war, es jetzt herauszufinden, da sie gerade gesprächig war.
»Was ist?«
»Fühl dich nicht auf den Schlips getreten, ich rede gern und jederzeit mit dir. Aber warum erzählst du das alles mir? Wartet zu Hause niemand auf dich und möchte wissen, wie dein Tag war?«
Er stellte fest, dass sie sich sofort wieder verschloss, und das nicht zum ersten Mal. Immer wenn er auch nur andeutungsweise auf ihr Privatleben zu sprechen kam, ließ sie die Jalousien herunter, und es war, als wäre die Zimmertemperatur schlagartig um etwa zehn Grad gesunken.
»Jake«, sagte sie, plötzlich abweisend, »ich schlage dir eine Abmachung vor. Ich interessiere mich nicht für deine Vergangenheit und dein Privatleben und du dich nicht für meins. Einverstanden?«
Er zuckte die Achseln.
»Wenn du es so möchtest.«
»Du musst mir vertrauen. Es ist einfach besser so.«
Sie stand auf, um zu gehen. Inzwischen wirkte sie unbeschreiblich erschöpft und sehnte sich vermutlich nach Schlaf.
»Schau, es ist schon kurz vor elf«, meinte sie, zog den Mantel an und blickte dankbar zu ihm auf. »Ich muss morgen um sechs wieder in der Redaktion sein. Also gehöre ich jetzt dringend ins Bett. Aber … ich möchte mich bei dir bedanken. Du ahnst ja nicht, was für eine große Hilfe es für mich war, mir nach diesem Scheißtag alles von der Seele reden zu können.«
»Gern geschehen«, erwiderte er ruhig. Wie er so mit verschränkten Armen dastand, überragte er sie um gut zwanzig Zentimeter. »Das ist doch das Mindeste, nach allem, was du für mich getan hast.«
»Du weißt doch, dass es von Herzen kommt.«
»Das bedeutet nicht, dass es mir nicht unangenehm ist, so viel Hilfe von dir anzunehmen. Aber ich verspreche dir, Eloise, dass ich dir eines Tages alles zurückzahle.«
»Suche dir einfach nur einen guten Job, in dem du deine Fähigkeiten voll einbringen kannst. Das wäre mir Lohn genug.« Sie lächelte.
Er konnte es sich einfach nicht verkneifen.
»Gib mir einfach Bescheid, wenn du anfangen willst, an deinem Artikel zu arbeiten.«
»Meinem was?«, antwortete sie. Offenbar hatte ihr sonst so lückenloses Gedächtnis unter der Erschöpfung gelitten.
»Der Artikel für deine Zeitung. Darüber, wie Typen wie ich draußen klarkommen.«
»Ach ja«, entgegnete sie, nicht sehr überzeugend, wie er fand. »Der Artikel.«
Im nächsten Moment war sie nach draußen in die regnerische Nacht verschwunden. Jake blieb völlig verdattert zurück. Warum?, dachte er. Warum setzte eine Frau wie sie sich so für seinesgleichen ein? Er hatte es vorhin ehrlich gemeint. Es war ihm ziemlich unangenehm, ihre großzügige Hilfe anzunehmen. Gut, er bezahlte Miete für die Wohnung. Doch da war auch noch die Arbeit, die sie in seinen Lebenslauf gesteckt hatte. Und dass sie ihn ermutigte, diesen gewaltigen Schritt im Leben zu wagen.
Nur den Grund verstand er einfach nicht. War sie wirklich so einsam, dass sie außer ihm keinen Menschen hatte, mit dem sie sprechen konnte, damit sie nach einem schlechten Tag auf andere Gedanken kam? Wo waren ihre Freunde und ihre Familie?
Die Frage ließ ihn nicht mehr los.
Oder war er wirklich der einzige Mensch auf der Welt, dem sie sich öffnen konnte? Er? Ein Ex-Sträfling?
Kapitel acht
Die Gebete seiner Mam wirkten Wunder und wurden tatsächlich erhört, denn kurz darauf erhielt Jake einen Brief von einer der vielen Sprachenschulen, an denen er sich beworben hatte, um Englisch als Fremdsprache zu unterrichten. Er befürchtete schon, an Halluzinationen zu leiden … doch man lud ihn tatsächlich zu einem Vorstellungsgespräch ein. Einem richtigen Vorstellungsgespräch. Für eine ordentliche, anständige Stelle, nicht als Taxifahrer, Hamburgerbrater oder Verkäufer der Obdachlosenzeitschrift spätabends vor dem Supermarkt, womit die meisten Ex-Knackis, die er früher gekannt hatte, ihren Lebensunterhalt verdienten.
Sofort rief er Eloise an, und obwohl sie im Büro war und nicht frei reden konnte, war er sicher, dass ihre Stimme froh und triumphierend klang. »Wir schmieden später Pläne«, zischte sie ins Telefon.
Planen, organisieren, arrangieren, alles im Griff haben, das waren, wie er inzwischen wusste, ihre Lieblingsbeschäftigungen.
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