Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Jane-Austen-Serie im Fernsehen ist viel zu streng. Was, wenn ich fragen darf, ist denn so schlimm an einer guten Schnulze, in der es von Korsetts und Hauben nur so wimmelt? Ich will die überarbeiteten Artikel bis vier auf meinem Schreibtisch sehen. Danke.«
Der Friseur fing Jakes Blick auf und zwinkerte ihm verschwörerisch zu, was wohl »Bin ich froh, dass nicht ich diesen Anruf gekriegt habe, Kumpel!« besagen sollte.
Eine halbe Stunde später war er fertig, abgebürstet und bereit, das Ergebnis in Augenschein zu nehmen. Und Jake, der höchstens alle sechs Monate in den Spiegel schaute, erkannte sich kaum wieder, als der Friseur sein Werk vollendet hatte. Er war, anders konnte er es nicht ausdrücken, verwandelt. Sein halblanges blondes Haar wirkte nun ordentlicher und dichter. Seine Haut schimmerte gesund … das Zerzauste, so als sei er gerade erst aus dem Bett aufgestanden, war verschwunden. Kurz gesagt sah er, wie seine Mam es ausgedrückt hätte, »adrett« aus.
»Besser als beim Gefängnisfriseur, das muss ich zugeben«, meinte er zu Eloise, als sie gingen.
»Pst, genug davon. Das ist vorbei, schau in die Zukunft.«
Da sie zurück in die Redaktion musste, begleitete er sie ein Stück. Allerdings konnte man es kaum als Spaziergang bezeichnen, denn wie er inzwischen wusste, legte Eloise alle Strecken im Power-Walking-Tempo zurück, weshalb man sich Mühe geben musste, mit ihr Schritt zu halten. Bei ihr war sogar das Gehen eine Herausforderung. Trat diese Frau denn nie auf die Bremse? Für niemanden?
»Warum hast du es so eilig?«, fragte er, während sie den College Green entlanghastete, als seien die Apachen aus einem alten Schwarz-weiß-Western hinter ihr her. »Es ist Samstag, und die Sonne scheint. Herrje, wir haben Mittagszeit, und du hast noch nichts gegessen. Machst du denn nie Pause?«
»Jake, wenn du nur wüsstest, was ich heute Nachmittag noch alles erledigen muss …«, keuchte sie und schlängelte sich dabei geschickt zwischen mit Einkaufstüten bepackten Passanten hindurch, die ihr den Weg versperrten und sie aufhielten.
»Ach, verschon mich. Ich kann dieses Gerede nicht mehr hören«, entgegnete er, packte sie fest am Arm und schob sie so schwungvoll ins Lemon-Café in der Dawson Street, dass ihre Füße beinahe vom Boden abhoben.
»Nein, lass das bitte. Ich habe dir doch gesagt, dass ich keine Zeit habe …«, protestierte sie. Allerdings wusste er inzwischen, dass sie irgendwann nachgab.
»Ich kann auch in der Redaktion etwas essen.«
»Schon gut, und was? Wenn ich dich so ansehe, ernährst du dich vermutlich von Stangensellerie und Kaffee. Entweder bist du jetzt still und isst oder ich trichtere es dir gewaltsam ein. Deine Entscheidung …«
»Gut, meinetwegen«, seufzte sie, als ihr der verführerische Geruch von mit Käse überbackenem Schinken in die Nase stieg, der durch das Café wehte. Ihr wurde klar, dass sie wirklich seit sechs Uhr morgens nichts mehr gegessen hatte, und das war ein jämmerlicher Haferflockenriegel gewesen. Hühnerfutter, wie Jake sagen würde. Doch Eloises Interesse am Essen ließ sich wie folgt zusammenfassen: Sie ernährte sich, nicht mit Genuss oder etwa weil sie Freude daran hatte, sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil sie anderenfalls gestorben wäre. Wenn sie Zugriff auf die Pillen gehabt hätte, die die NASA an Astronauten im All ausgab, hätte sie zufrieden ihre tägliche Ration Eiweiß und Kohlenhydrate geschluckt und sich über die gesparte Zeit gefreut.
Jedenfalls bestellte Jake ihr einen großen Crêpe mit Eiern, Käse und Speck und zwei Kaffee zum Mitnehmen, bezahlte und drückte ihr dann ihr Essen in die Hand, damit sie es auf dem Weg ins Büro verspeisen konnte.
»Nur mal aus reiner Neugier, nimmst du eigentlich nie frei?«, erkundigte er sich, als sie auf die Redaktion der Post zusteuerten. »Schau dich doch nur an. Wir haben Wochenende. Überall auf der Welt spannen normale Menschen aus und tanken wieder Kraft, während du zurück ins Büro rast, um ja deinen Zeitplan nicht durcheinanderzubringen. An einem Samstag. Herrgott, Eloise, was wünschst du dir zu deinem nächsten Geburtstag? Einen Nervenzusammenbruch?«
Sie verschlang hungrig ihren Crêpe und hatte, wie er erfreut feststellte, ihr Gehtempo gedrosselt.
»Ich würde ja gerne freinehmen, aber ich kann nicht«, erwiderte sie mit vollem Mund. »Glaube mir, du ahnst ja gar nicht, unter welchem Stress ich stehe. Wir haben zwar Samstag, aber heute Abend muss die Zeitung
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