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Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Titel: Der männliche Makel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Carroll
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kreisen.
    »Bitte«, erwidere ich und komme mir vor wie die letzte Idiotin.
    »Du hast zwei Alternativen. Plan A: Du beichtest ihm alles, und zwar jetzt, ohne es länger hinauszuzögern. Du verhältst dich wie eine Freundin und sagst ihm die Wahrheit. Es ist zwar ein bisschen spät, aber spät ist besser als nie. Und damit meine ich die ganze Wahrheit. Warum du ihn aufgespürt hast, von Lily und vor allem, dass sie der wahre Grund ist, ihm zu helfen. Es könnte sein, dass ihm das gar nicht gefällt. Vielleicht ist er schockiert oder sogar sauer auf dich, weil du die ganze Zeit über nicht ehrlich zu ihm warst. Doch langfristig betrachtet hättest du es dir von der Seele geredet und das Richtige getan. Falls er Lily nicht sehen will, warst du wenigstens offen und hast ihm die Entscheidung überlassen.«
    »Und wie lautet Plan B?«, frage ich Helen kleinlaut.
    »Das wirst du jetzt nicht gerne hören.«
    »Schieß los.«
    »Plan B ist, dass du jeglichen Kontakt zu ihm abbrichst. Sofort. Triff dich nicht mehr mit ihm. Du hast ihn unterstützt, so gut du konntest, und nun ist Schluss. Denn abgesehen davon, dass er vielleicht nichts mit Lily zu tun haben will, verhältst du dich schrecklich unfair. Du hast dich mit jemandem angefreundet, den du gleichzeitig an der Nase herumführst. Du hintergehst ihn. In jeder Minute, die du mit ihm verbringst, lügst du ihn mehr oder weniger an. Also überleg mal. Wie würdest du es finden, wenn dich jemand so behandelt? Ich weiß, wie schön es für dich ist, einen Kumpel zu haben, aber vertrau mir: Freunde gehen nicht so miteinander um. Ich beneide dich um keine der beiden Möglichkeiten, Liebes, doch etwas anderes bleibt dir nicht übrig. Schenk ihm reinen Wein ein, oder hör auf, ihn zu täuschen. Und das kannst du nur, indem du Abstand gewinnst.«
    Sie blickt mich auffordernd an.
    »Also? Was wirst du tun?«
    Das kann ich nicht beantworten.
    »Komm schon, sonst bist du doch auch nicht so zögerlich.«
    Ich kann es zwar nicht laut aussprechen, aber … nun, den Kontakt zu Jake abzubrechen ist für mich unvorstellbar. Absolut. Ich … ja … ich würde ihn vermissen. Er ist mein einziger Freund, mit dem ich nicht verwandt bin, und ich wage nicht, mir ein Leben ohne ihn auszumalen.
    »Eloise?«
    Verzweifelt fahre ich mir mit den Fingern durchs Haar.
    »Gut, aber es wird dir nicht gefallen. Die Antwort lautet, dass ich ehrlich nicht weiß, was ich tun soll. Ich will nur … dass alles so bleibt, wie es ist. Bis ich mich entschieden habe und, noch wichtiger, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Helen, zum ersten Mal im Leben bin ich mit dem Ist-Zustand zufrieden. Darf ich nicht wenigstens momentan in dieser Blase weiterleben? Bitte?«
    Falls ich geglaubt haben sollte, dass die schleichende Veränderung, die in mir vorgegangen ist, in der Redaktion unbemerkt bleiben wird, habe ich mich schwer geirrt. Am nächsten Morgen sitze ich am Schreibtisch und schaue die Anzeigenseiten für den Feuilletonteil des nächsten Wochenendes durch. Es ist kurz vor elf, als es sacht an die Bürotür klopft und Rachel hereinkommt. Sie steht schluchzend vor mir. Ja, sie weint tatsächlich. Heiße Tränen sprudeln aus ihren vor Trauer geröteten Augen, und sie zittert, als habe sie gerade einen Schock erlitten.
    Sofort springe ich auf, schieße auf sie zu, nehme sie in die Arme und wiege sie beinahe wie Lily, wenn sie müde ist.
    »Was hast du? Was ist passiert?«, frage ich, nachdem ich sie in den Sessel vor meinem Schreibtisch verfrachtet habe. Dabei reibe ich ihr mit den Armen über die Schultern, wie es Mitglieder der Küstenwache bei Menschen machen, die sie gerade vor dem Ertrinken gerettet haben.
    »Es liegt an H-h-harry«, ist alles, was ich ihr zwischen den Schluchzern entlocken kann. Harry ist, wie ich mich erinnere, ihr Freund und der Vater ihrer kleinen Tochter, die etwa ein halbes Jahr älter ist als Lily.
    »Erzähl mir, was los ist, Liebes. Red es dir von der Seele.«
    Die Ärmste braucht ungefähr zehn Minuten, um mir alles zu schildern, denn vor lauter Verzweiflung bringt sie kaum zwei zusammenhängende Sätze heraus. Währenddessen bemuttere ich sie nach Kräften, hole Kleenex, krame eine Flasche Rescue-Tropfen aus den Tiefen meiner Handtasche hervor und stecke den Kopf aus der Tür, um mir eine vorbeieilende Volontärin zu schnappen, der ich sage, sie solle zu Slattery’s Bar gegenüber gehen und nicht ohne ein ordentliches Glas Brandy wiederkommen.
    Dann wende ich mich wieder der

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