Der männliche Makel: Roman (German Edition)
beauftragen, für dich einzuspringen, damit du eine normale Vierzigstundenwoche bekommst. So kannst du jeden Abend um sechs zu Hause bei Molly sein.«
Sie sieht mich mit weit aufgerissenem Mund an.
»Eloise … wirklich? Äh … meinst du das ernst?«
»Ich habe noch nie etwas ernster gemeint. Ach, noch etwas, wann hast du denn das letzte Mal Urlaub gemacht?«
Sie muss lange nachdenken. Ich weiß genau, dass sie beinahe so viel arbeitet wie ich.
»Äh …«, stammelt sie. »Tja …«
Ich schüttle den Kopf und lege die Nase in Falten. »Nun, ich kann mich auch nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal frei hatte. Also gut. Los, hol deinen Mantel. Ich setze dich jetzt in ein Taxi. Und die restliche Woche nimmst du frei, um die Situation zu Hause in Ordnung zu bringen.«
Sie blickt mich an, als ob ich diejenige wäre, die gerade einen Zusammenbruch hat, und nicht sie.
»Eloise«, sagt sie mit Tränen in den Augen, »bist du wirklich sicher?«
»Ich lasse ein Nein nicht gelten. Molly braucht dich jetzt, und du musst bei ihr sein. Das ist wichtiger als irgendein dämlicher Job. Versprich mir nur eines: Komm erst wieder, wenn du bereit bist. Deine Stelle wartet auf dich, Ehrenwort.«
Am Freitag derselben Woche lässt Robbie die Andeutung fallen, er werde heute die Firmung seiner Tochter verpassen, weil er in der Redaktion bleiben müsse, um die Live-Berichterstattung über die Vorwahlen der Republikaner in den USA zu verfolgen.
Es dauert etwa eine Stunde, bis es mir zu Ohren kommt, doch dann gehe ich sofort zu seinem Schreibtisch. Er sitzt wie immer über den Computer gebeugt da und arbeitet wie ein Wilder. Ich teile ihm ohne Umschweife mit, dass er den restlichen Tag frei hat, um bei der Firmung dabei zu sein. Falls sein Stellvertreter es nicht auf die Reihe kriegt, würde ich es selbst übernehmen.
Am kommenden Samstag denke ich mir, dass ich mir auch mal eine kleine Pause gönnen könnte, wenn ich die anderen durchatmen lasse. Helen ruft an, um mir zu sagen, dass heute Nachmittag im Stephen’s Green ein Sommerfest mit Teddybärenpicknick für Kinder unter fünf Jahren stattfindet. Es ist ein wunderschöner, sonniger Tag, und Lily und sie würden ihren Lieblingsteddy mitbringen, der den passenden Namen Mr. Kuschel trägt. Ich wünsche den beiden einen tollen Nachmittag. Doch als ich auflege, verspüre ich nicht die übliche Mischung aus Neid, gemischt mit Schuldgefühlen, weil Helen dort ist und nicht ich. Stattdessen habe ich eine Idee.
Ungeduldig schaue ich auf die Uhr und stelle fest, dass es kurz vor eins ist. Und dann habe ich eine plötzliche Eingebung. Ich kann es schaffen, denke ich. Nichts leichter als das. Stephen’s Green ist nur zehn Fußminuten entfernt. Was hindert mich also daran, zur Abwechslung mal eine richtige Mittagspause zu machen, anstatt am Schreibtisch eine Banane oder einen Müsliriegel in mich hineinzustopfen? Ich könnte die beiden überraschen und ein Picknick für uns drei mitbringen, oder? Da ist doch nichts dabei.
Verdammt, denke ich mir, Lily wird nicht immer so klein bleiben, und ich habe es gründlich satt, alle angenehmen Erlebnisse mit ihr zu verpassen. Also gestatte ich mir jetzt eine Stunde Mittagspause und kümmere mich nicht um die Seth Colemans dieser Welt.
Und es ist wirklich der beglückendste Moment seit Wochen. Unterwegs haste ich in die Lebensmittelabteilung von Marks & Spencer und fülle eine Kühltasche mit Saft, Sandwiches, Schokolade und Eiscreme für uns drei. Dann schlängle ich mich auf der Grafton Street durch die träge dahinfließende Masse der mit Einkaufstüten beladenen Passanten bis zum Stephen’s Green. Unterwegs schreibe ich Helen eine SMS, um herauszufinden, wo genau sie sind. Kein Scherz, aber es bricht mir fast das Herz, denn ein Strahlen breitet sich auf Lilys sommersprossigem Gesichtchen aus, als sie sieht, wie ich durch den belebten Park auf sie zusteuere. Und natürlich auch beim Anblick des Cornetto Erdbeer, das ich ihr mitgebracht habe.
Es ist ein Glücksgefühl, das ich seit Jahrzehnten nicht mehr gekannt habe, an einem heißen Sommertag auf einer Decke zu liegen und zuzuschauen, wie mein großes Baby Freundschaften knüpft und mit einem anderen kleinen Mädchen die Teddybären tauscht. Helen und ich räkeln uns auf der mitgebrachten Picknickdecke, genießen den Sonnenschein und lauschen der Jazzband, die in einem Konzertpavillon sommerliche Melodien spielt. Wir reden über alles Mögliche wie zwei richtige Schwestern und
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