Der männliche Makel: Roman (German Edition)
stopfen uns dabei mit den Leckereien voll.
Ganz in der Nähe ist ein schäbiger Mini-Supermarkt, wo es Biolebensmittel aus der Region gibt. Und sobald wir unsere gesamten Vorräte verschlungen haben, bittet Helen mich, kurz zu warten. Sie habe nämlich eine tolle Idee. Sie verschwindet und kehrt kurz darauf zurück. Auf ihren zu hohen Keilabsätzen stakst sie über das unebene Gras zurück zu der Stelle, wo ich Lily und ihre kleine neue Freundin beaufsichtige. Sie hat zwei Gläser Pimm’s und ein Körbchen Erdbeeren für uns dabei.
»Ach nein, Helen«, protestiere ich. »Ich kann doch keinen Alkohol trinken, wenn ich zurück zur Arbeit muss.«
»Ein Glas wird dich schon nicht umbringen. Wir haben Samstagnachmittag, verdammt. Normale Menschen nehmen sich hin und wieder einen Tag frei.«
»Inzwischen redest du wie Jake«, entgegne ich lachend.
»Sei still und trink.«
Ich gehorche und finde es wunderbar, als ich mich wieder auf die Decke lege, die Schuhe ausziehe und mich so friedlich und entspannt fühle wie schon seit Jahren nicht mehr. Zufrieden döse ich vor mich hin.
Nicht zum ersten Mal überkommt mich Reue wegen all der vielen Jahre, die ich als Kind und als Jugendliche damit verbracht habe, auf meine jüngere, hübschere und beliebtere Schwester eifersüchtig zu sein.
Was für eine Verschwendung … wie habe ich nur zulassen können, dass wir uns so weit voneinander entfernt haben? Schließlich sind wir nicht gerade eine große Familie: nur wir beide und Mum, die ich nur selten sehe. Auch daran muss ich bald etwas ändern. Und obwohl Helen und ich nur einander haben, war ich kurz davor, unser Verhältnis im Sande verlaufen zu lassen.
Und was schließe ich daraus? Ich habe mir fest vorgenommen, die Jahrzehnte wiedergutzumachen, in denen ich ihr eine miese große Schwester war. Denn unsere Gemeinsamkeiten wiegen viel schwerer als unsere oberflächlichen Unterschiede. Und wenn ich gnadenlos ehrlich mit mir bin, denke ich manchmal tief in meinem Innersten, dass sie eigentlich die Klügere von uns beiden ist. Sie hat viel mehr Lebensqualität als ich, und sie hat mir beigebracht, einfach den Tag zu genießen und mich an den wundervollen Menschen in meiner Umgebung zu erfreuen. So, wie ich von Jake langsam lerne, ein bisschen lockerer zu werden. Anders, als in meinem Wertesystem verankert, bin ich nicht unersetzlich. Es ist in Ordnung, wenn ich mir hin und wieder eine Auszeit nehme, um Bilanz zu ziehen, innezuhalten und die schönen Dinge des Lebens zu genießen.
Jake. Komisch, wie er sich immer wieder in mein Unbewusstes schleicht.
Ich krame Lilys Kindersonnencreme aus meiner überquellenden Handtasche und klatsche sie in mein inzwischen sicher feuerrotes Gesicht.
»Lily? Kommst du mal her, Schatz, damit ich dich noch mal eincremen kann?« Das Kind hat gerade großen Spaß mit einem anderen unbeschreiblich niedlichen kleinen Mädchen, dessen wuschelige schwarze Korkenzieherlocken bis zum Po reichen.
»Nein, Mama! Ich und Hannah spielen Teddypicknick! Hannah ist jetzt meine Freundin!«
Normalerweise drängt Lily sich immer in den Vordergrund, wenn Erwachsene dabei sind. »Mama, schau mich an!« So geht es alle zwei Sekunden. Heute jedoch ist sie so mit ihrer neuen Freundin beschäftigt, dass sie Helen und mich kaum eines Blickes würdigt. Ich lächle und freue mich unbändig darüber, wie unabhängig sie inzwischen geworden ist.
Lieber Gott, das ist der Himmel, denke ich froh. Die Welt ist schön.
Das warme Glücksgefühl dauert knapp zwei Minuten an. Dann sehe ich sie.
Ganz entspannt und ins Gespräch vertieft schlendern sie durch den Park.
Jake, aber er ist nicht allein, sondern in Begleitung einer jungen Frau. Sie ist so groß, dass ich, als ich hinschaue, nur sonnengebräunte lange Beine wahrnehme. Sie hat eine Bermuda an, die so eng ist, dass eigentlich nur eine Achtzehnjährige damit durchkommt. Sie sieht aus, als wäre sie unterwegs zu einer Werbeveranstaltung für Sportwagen. Langes, dunkles, fliegendes Haar. Armbänder, die beim Gehen klappern. Zähne so weiß, dass sie einen fast blenden. Aus irgendeinem Grund muss ich plötzlich an das Lied The Girl from Ipanema denken.
Ich fahre hoch und durchwühle meine Handtasche nach der Sonnenbrille, die zum Glück die Größe von zwei Esstellern hat und beinahe mein ganzes Gesicht verdeckt.
Er hat mich nicht bemerkt. Ganz sicher hat er mich und Helen nicht bemerkt …
Ach, verdammter Mist, Lily …
Ich schaue mich um, wohl wissend, dass sie
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