Der Magier von Fairhaven
Auf einer Uferstraße voller Fallen in einem Krieg, den niemand wirklich wollte und den man anscheinend doch nicht vermeiden konnte, spielten die Antworten keine Rolle mehr. Nach und nach wurde ganz Fairhaven von diesem Krieg aufgesogen – Leyladin, Faltar und ein halbes Dutzend junge Magier, die, wie Cerryl vermutete, kaum die Fähigkeit hatten, Ordnungs-Fallen zu erkennen oder den eisernen Armbrustbolzen zu entgehen, die für einen Weißen Magier ohne weiteres tödlich sein konnten.
Aber bist du überhaupt selbst fähig, diesen Gefahren zu entgehen?
XLVIII
N achdem er den Wallach abgerieben hatte, ging Cerryl langsam zu dem Dach aus Segeltuch – ein Zelt war es nicht zu nennen –, das die Verwundeten vor der Nachmittagssonne schützte. Leyladin war gerade über einen frisch verletzten Lanzenreiter gebeugt, den Cerryl nicht kannte. Schon aus einigen Dutzend Schritten Entfernung konnte er die Ordnungs-Kräfte spüren, mit denen sie arbeitete.
Er wollte ihr sagen, dass sie nicht alle Menschen heilen konnte. Kein Heiler vermochte das. Aber er hielt sich zurück und wartete, bis sie sich wieder aufrichtete.
Sie kam sofort zu ihm, als hätte sie seine Gegenwart gespürt. Ein kleines Lächeln spielte um ihre Lippen. »Ich habe gefühlt, dass du gekommen bist.«
»Du hast es gefühlt?«
»Wenn du mich in einem Glas finden kannst, warum sollte ich es dann nicht spüren, wenn du in der Nähe bist?«
Er drückte ihre Hand. »Ich soll mich mit Jeslek und den anderen treffen …«
»Mit den anderen Weißen?« Sie hob fragend die Augenbrauen.
»Ich habe keine Wahl.«
»Ich weiß. Manchmal ist es schwer.« Sie warf einen kurzen Blick zu den Verletzten unter dem Dach.
»Weil wir töten, während du zu heilen versuchst?«
»Nein.« Die blonde Heilerin legte den Kopf etwas schief. »Die Schwarzen töten im Augenblick mehr Menschen als wir. Die Gilde braucht die Ordnung so sehr wie das Chaos. Die älteren Teile von den Farben der Weiße … es steht dort nicht ausdrücklich, aber so ist es gemeint. Heute, da Recluce unser Feind ist …«
»Niemand scheint zu begreifen, dass auch die Ordnung in Fairhaven ihren Platz hat …« Cerryl sah zum Zelt aus weißer Seide, das auf einem ebenen, mit Gras bewachsenen Flecken weiter unten am Abhang stand, nahe an den grauen Wassern des Gallos.
»Du musst gehen, ich weiß.«
»Es tut mir Leid. Aber ich wollte dich unbedingt vorher sehen.«
Wieder lächelte sie. »Bis später.«
Er drückte ein letztes Mal ihre Finger, bevor er sich umdrehte und, tief durchatmend, den Hügel hinunterstieg.
Der Geruch von brennendem Holz war nicht sehr stark, aber allgegenwärtig. Er rieb sich die Augen, als er vor dem Zelt stand, das von zwei Lanzenreitern bewacht wurde.
Einer nickte leicht. »Magier Cerryl?«
Cerryl antwortete mit einem knappen Nicken und bückte sich unter das Vordach, das von zwei Pfählen und einem Stück Stoff gebildet wurde. Anya schaute auf, als Cerryl das Zelt betrat. Fydel, Anya und Jeslek saßen bereits auf Hockern um einen Feldtisch. Cerryl nahm dem letzten und ließ sich Jeslek gegenüber zwischen Anya und Fydel nieder.
»Gut, dass Ihr kommen konntet«, sagte Jeslek.
»Es war ein langer Tag, Ser. Ich bin gerade erst zurückgekehrt.«
»Wie viele Männer habt Ihr heute wieder verloren?«, fragte Anya.
»Keinem.« Nach kurzem Schweigen fuhr er fort: »Und genau das bereitet mir Sorgen. Ich frage mich, was sie im Schilde führen.«
»Sie führen ganz sicher etwas im Schilde. Die Kaufleute haben ihrem Gefechtskommandanten, diesem jungen Riesen namens Brede aus Recluce, den Auftrag gegeben, Kleth um jeden Preis zu halten«, erklärte Jeslek leise. Über ihm flatterte die Zeltplane.
Fydel nickte, Anya strahlte und Cerryl lächelte höflich. Er neigte den Kopf.
»Wo ist Sterol?« Anyas Lächeln verriet Cerryl, dass sie die Antwort genau kannte und den Namen des ehemaligen Erzmagiers nur aus irgendwelchen finsteren Gründen ins Spiel gebracht hatte.
»In Fairhaven, nehme ich an, was mir persönlich ganz recht ist. Wir brauchen wirklich nicht noch einen hier, der nichts im Sinn hat, als Ränke zu schmieden.« Der Erzmagier hielt inne. »Eure Weigerung, die Bedingungen des Rates anzunehmen, war brillant, Fydel, auch wenn Ihr dabei etwas ganz anderes im Auge hattet.«
»Es freut mich, dass Ihr es so seht«, erwiderte Fydel lächelnd.
»Ich habe sie gezwungen, sich frühzeitig auf die Verteidigung einzurichten und über ihre Flucht nachzudenken, falls sie
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