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Der magische Pflug

Der magische Pflug

Titel: Der magische Pflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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– gebildet, aus freiwilligem Entschluß eine Jungfer, die den Männern sexuell nicht zur Verfügung stand.
    Ihre Verkleidung war also keine Lüge, ganz bestimmt nicht; es war lediglich eine Möglichkeit, um ein Geheimnis zu wahren, das Geheimnis dessen, was sie einmal war, jetzt aber nicht mehr sein konnte. Sie hatte ihr Gelübde nicht gebrochen.
    Mutter war schon längst im Wald zwischen Bachhaus und Gasthof verschwunden, und noch immer sah Peggy ihr nach. Und wenn sie gewollt hätte, hätte Peggy sie immer noch sehen können, nicht mit ihren Augen, aber mit ihrer Fackelschau, hätte Mutters Herzensfeuer suchen und sich ihr nähern können, bis sie ganz dicht dran war. Mutter, weißt du denn nicht, daß du vor deiner Tochter Peggy keine Geheimnisse haben kannst?
    Aber es war eine Tatsache, daß Mutter so viele Geheimnisse haben durfte, wie sie wollte. Peggy würde ihr nicht ins Herz blicken. Peggy war nicht nach Hause zurückgekehrt, um wieder die Fackel von Hatrack River zu sein. Nach all diesen Jahren des Studiums, in denen Peggy so schnell so viele Bücher gelesen hatte, daß sie einst befürchtete, die Bücher könnten ihr ausgehen, daß es in ganz Amerika nicht genügend Bücher geben könnte, um sie zufriedenzustellen – nach all diesen Jahren gab es nur noch eine Fähigkeit, derer sie sich sicher war: Sie hatte endlich die Fähigkeit gemeistert, nicht ins Innere der Herzen anderer Menschen zu schauen, es sei denn, sie wollte es. Sie hatte ihre Fackelschau endlich gezähmt.
    Gewiß, sie blickte immer noch in andere Menschen hinein, wenn sie es brauchte, aber das war selten. Sogar vor dem Schuldirektorium, das zu zähmen sie gekommen war, hatte sie nur ihre Menschenkenntnis gebrauchen müssen, um ihre Gedanken zu erraten und mit ihnen umzugehen. Und was die Zukünfte anging, die sich in den Herzensfeuern offenbarten, so bemerkte Peggy sie nicht mehr.
    Ich bin nicht verantwortlich für eure Zukunft, für keinen von euch. Am wenigsten für dich, Mutter. Ich habe mich schon genug in dein Leben eingemischt, in jedermanns Leben. Wenn ich euer aller Zukunft kenne, all ihr Leute von Hatrack River, dann habe ich die moralische Verpflichtung, so zu handeln, daß ich euch dabei helfe, das bestmögliche, glücklichste Morgen zu erreichen. Doch wenn ich das tue, höre ich selbst auf, zu existieren. Dann wird meine Zukunft die einzige sein, die keine Hoffnung hat, und warum sollte das so werden? Indem ich meine Augen vor dem verschließe, was passieren wird, werde ich wie ihr, kann ich mein Leben nach dem ausrichten, was ich an Zukunft errate. Ich könnte euch ohnehin kein Glück garantieren, aber auf diese Weise habe ich wenigstens selbst die Chance, es zu bekommen.
    Noch während sie sich selbst rechtfertigte, spürte sie das alte, säuerliche Schuldgefühl in sich aufwallen. Indem sie ihre Gabe zurückwies, versündigte sie sich gegen Gott, der sie ihr geschenkt hatte. Der große Magister Erasmus hatte gelehrt: Deine Gabe ist dein Schicksal. Nie wirst du Freude kennen, es sei denn, du folgst dem Weg, der dir von dem, was in dir ist, vorgezeichnet wird. Aber Peggy weigerte sich, sich dieser grausamen Disziplin zu unterwerfen. Ihre Kindheit hatte man ihr schon gestohlen, und was hatte es gebracht? Ihre Mutter mochte sie nicht, die Menschen von Hatrack River fürchteten sie, haßten sie gar, auch wenn sie immer und immer wieder kamen, um nach Antworten auf ihre selbstsüchtigen, kleinlichen Fragen zu suchen, um ihr jedesmal die Schuld dafür geben, wenn irgendein scheinbares Leid in ihr Leben eintrat, doch nie, um ihr dafür zu danken, daß sie sie vor schlimmen Ereignissen gerettet hatte; denn sie wußten ja nie, wie sie sie gerettet hatte, weil diese Ereignisse dann nicht stattfanden.
    Es war nicht Dankbarkeit, was sie verlangte. Es war Freiheit. Es war eine Erleichterung ihrer Last. Sie hatte zu früh damit begonnen, diese Bürde zu tragen, und die Ausbeutung der anderen hatte keine Gnade gekannt. Ihre eigenen Ängste waren ihnen immer wichtiger gewesen als ihr Bedürfnis nach einer sorgenfreien Kindheit. Gab es einen unter ihnen, der das verstand? Gab es auch nur einen unter ihnen, der wußte, wie dankbar sie gewesen war, sie alle hinter sich lassen zu können?
    Nun war Peggy, die Fackel, zurückgekehrt, aber die Leute würden nie davon erfahren. Ich bin nicht für euch zurückgekommen, Leute von Hatrack River, und auch nicht, um euren Kindern zu dienen. Ich bin nur um eines Schülers willen gekommen, wegen des

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