Der magische Pflug
Mutterkuchen nichts ausrichten können. Sie hatte nur zusehen können, wie er das Entmachen in Alvins Innerm bereinigte und entfernte, um so für eine Weile den Entmacher zu besiegen, der ihm im Außen auflauerte. Nun stand dieser Brunnen da, ein Mahnmal der Macht Alvins – und seiner Schwäche.
Sie ließ den Kupfereimer in den Brunnen fallen, und die Winde klapperte, als das Seil sich abwickelte. Ein gedämpftes Aufklatschen. Sie wartete einen Augenblick, damit der Eimer sich füllte; dann kurbelte sie ihn wieder hoch. Als er oben war, da war er bis zum Rand gefüllt. Sie wollte ihn in den Holzeimer leeren, den sie mitgebracht hatte, aber statt dessen führte sie den Kupfereimer an die Lippen und trank von der kalten, schweren Wasserlast. So viele Jahre hatte sie darauf gewartet, dieses Wasser kosten zu können, das Wasser, das Alvin in jener Nacht selbst gezähmt hatte. Sie hatte solche Angst empfunden, als sie ihn die ganze Nacht bewachte, und als er schließlich am Morgen das erste Brunnenloch, das Dokument seiner Rache, wiederauffüllte, da hatte sie vor Erleichterung geweint. Dieses Wasser war nicht salzig, dennoch schmeckte es für sie nach ihren Tränen.
Der Hammer war verstummt. Wie stets, machte sie auch diesmal Alvins Herzensfeuer sofort aus, ohne es überhaupt zu versuchen. Er verließ gerade die Schmiede, kam heraus. Wußte er, wo sie war? Nein. Er kam immer zum Wasser, wenn er sein Tagewerk beendet hatte. Natürlich durfte sie sich noch nicht nach ihm umdrehen; das durfte erst geschehen, wenn sie seine Schritte hörte. Doch obwohl sie wußte, daß er kam, und obwohl sie nach ihm horchte, konnte sie ihn nicht hören; er bewegte sich so leise wie ein Eichhörnchen auf einem Ast. Erst als er sprach, gab er ein Geräusch von sich.
»Ziemlich gutes Wasser, nicht?«
Sie drehte sich zu ihm um. Drehte sich zu schnell, zu begierig – das Seil hielt noch immer den Eimer, so daß er ihr aus der Hand sprang, sie mit Wasser bespritzte und klappernd in den Brunnen stürzte.
»Ich bin Alvin, erinnert Ihr Euch? Wollte Euch nicht erschrecken, Ma'am. Miss Larner.«
»Ich habe törichterweise vergessen, daß der Eimer noch befestigt war«, sagte sie. »Ich fürchte, ich bin eher an Pumpen und Wasserhähne gewöhnt. In Philadelphia gibt es nicht viele offene Brunnen.«
Sie wandte sich dem Brunnen zu, um den Eimer wieder hochzuziehen.
»Laßt mich das machen«, sagte er.
»Das ist nicht nötig. Das schaffe ich auch selbst.«
»Aber warum solltet Ihr das tun, Miss Larner, wenn ich es doch so gern für Euch täte?«
Sie wich beiseite und sah zu, wie er mit einer Hand die Winde betätigte, so mühelos wie ein Kind einen Bindfaden kreisen ließ. Der Eimer flog förmlich in die Höhe. Sie schaute in sein Herzensfeuer, tauchte ganz kurz hinein, um zu sehen, ob er sich nur vor ihr aufspielen wollte. Nein, das wollte er nicht. Er konnte nicht sehen, wie mächtig seine Schultern waren, wie seine Muskeln bei der Bewegung des Armes unter der Haut tanzten. Er konnte nicht einmal den Frieden in seinem eigenen Antlitz erkennen, dieselbe gelassene Ruhe, die man im Antlitz eines furchtlosen Hirsches hätte sehen können. Es war keine Wachsamkeit in ihm. Manche Menschen besaßen Augen, die hin und her huschten, als müßten sie stets auf Gefahr achten oder irgendwelche Beute auflauern. Andere konzentrierten ihren Blick auf das, was sie gerade taten. Doch Alvin hatte eine ruhige Distanz an sich, als sorgte er sich nicht weiter darüber, was er selbst oder ein anderer gerade tun mochten, und als würde er statt dessen stummen Gedanken nachhängen, die niemand vernehmen konnte. Wieder hörte sie vor dem inneren Ohr die Verse aus Grays Elegy.
Fern all der lärmend' Masse unrühmlichen Strebens,
Irrt' ruhig' Verlangen ihnen nie davon;
Entlang des kühlen, abgeschied'nen Tals des Lebens,
Hielten sie Kurs in ihrem stummen Ton.
Armer Alvin. Wenn ich mit dir fertig bin, wird es für dich kein kühles, abgeschiedenes Tal mehr geben. Dann wird dir deine Lehrzeit wie die letzten friedlichen Tage deines Lebens erscheinen.
Er packte den vollen, schweren Eimer mit einer Hand am Rand und goß ihn mühelos in den anderen Eimer, den sie mitgebracht hatte und den er nun in der freien Hand hielt. Das tat er so leicht und mühelos, wie eine Hausfrau Sahne aus einem Becher in den anderen goß. Was, wenn diese Hände ebenso leicht und mühelos meine Arme hielten? Würde er sie mir brechen, ohne es zu wollen, weil er so kräftig ist? Würde ich
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