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Der magische Pflug

Der magische Pflug

Titel: Der magische Pflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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seines Lebens überschritten; er hatte ein wahrhaft großes Machen vollbracht, hatte etwas Neues in die Welt gebracht, und sie hatte es nicht einmal gesehen. Als er vor dem Entmacher gestanden hatte, damals, als sie noch weitab in Dekane war, da hatte sie seinen Kampf geschaut – aber jetzt, da er keine drei Ruten entfernt war, warum hatte sie sich ihm nicht zugewandt? Warum hatte sie seinen Schmerz nicht erkannt, als er sich im Feuer gewunden hatte?
    Vielleicht lag es am Bachhaus. Schon einmal, vor fast neunzehn Jahren, an jenem Tag, da Alvin geboren wurde, hatte das Bachhaus ihre Gabe gedämpft und sie in den Schlaf gelullt, bis es fast zu spät gewesen war. Aber nein, das konnte es nicht sein – durch das Bachhaus floß kein Wasser mehr, und das Schmiedefeuer war ohnehin viel stärker.
    Vielleicht war es der Entmacher selbst, der sie behindert hatte? Doch als sie mit ihrer Fackelschau um sich blickte, konnte sie in den Farben der sie umgebenden Welt keine ungewöhnliche Dunkelheit erkennen, jedenfalls nicht in der Nähe. Nichts, was sie hätte blenden können.
    Nein, geblendet hatte sie wohl das Wesen dessen, was Alvin selbst getan hatte. So, wie sie vor Jahren nicht gesehen hatte, wie er aus der Konfrontation mit dem Entmacher hervorgehen würde; wie sie auch nicht geschaut hatte, wie er den kleinen Arthur heute nacht am Hio veränderte, so hatte sie auch nicht gesehen, was er in der Schmiede tat. Das lag außerhalb der Zukünfte, die sie mit ihrer Gabe schauen konnte – dieses besondere Machen, das er heute nacht vollzogen hatte.
    Würde es immer so sein? Würde sie immer geblendet sein, wenn er seine wichtigsten Werke tat? Es machte sie zornig, es machte ihr Angst – was nützt mir meine Gabe, wenn sie mich gerade dann im Stich läßt, da ich sie am meisten brauche!
    Nein. Ich habe sie gerade nicht am meisten gebraucht. Alvin hat weder mich noch meine Schau gebraucht, als er ins Feuer geklettert ist. Meine Gabe hat mich nie im Stich gelassen, wenn sie wirklich gebraucht wurde. Im Stich gelassen wurde nur mein Verlangen.
    Nun, jetzt braucht Alvin mich jedenfalls, dachte sie. Vorsichtig ging sie den Abhang hinunter; der Mond hing tief am Himmel, die Schatten waren tiefschwarz, der Weg daher trügerisch. Als sie um die Biegung zur Schmiede kam, blendete der Schein des Essenfeuers sie fast, wie sich sein Licht über das Gras ergoß – es war so rot, daß das Gras schwarz schimmerte, und nicht grün.
    In der Schmiede lag Alvin zusammengekrümmt am Boden, mit dem Gesicht zur Esse, von ihr abgewandt. Er atmete schwer, abgehackt. Schlief er? Nein. Er war nackt; es dauerte einen Augenblick, bis ihr klar wurde, daß seine Kleidung ihm in der Esse vom Leib gebrannt worden sein mußte. In seinem Schmerz hatte er es nicht bemerkt, folglich erinnerte er sich auch nicht daran; und so hatte sie es auch nicht geschehen sehen, als sie seine Erinnerungen in seinem Herzensfeuer erforschte.
    Seine Haut war erschreckend fahl und glatt. Noch am heutigen Tag hatte sie seine Haut gesehen, tiefbraun von der Sonne und der Hitze der Schmiede. Er hatte Schwielen besessen, hier und dort auch eine Narbe von irgendeinem Funken oder einer Brandwunde, von den gewöhnlichen Unfällen eines Lebens am Feuer. Jetzt aber war seine Haut so jungfräulich wie die eines Säuglings, und so konnte sie nicht an sich halten, sie trat in die Schmiede, kniete neben ihm nieder, strich sanft mit der Hand seinen Rücken entlang, von der Schulter bis zu der schmalen Stelle über der Hüfte. Seine Haut war so weich, daß ihr ihre eigenen Hände rauh erschienen, als würden sie die seine schon durch die bloße Berührung verletzen.
    Er atmete langsam aus, ein Seufzen. Sie zog die Hand zurück.
    »Alvin«, sagte sie. »Bist du in Ordnung?«
    Er bewegte den Arm; der streichelte etwas, das in seiner Körperkrümmung lag. Erst jetzt sah sie es; ein mattes Leuchten im doppelten Schatten seines Körpers und der Esse. Ein goldener Pflug.
    »Er ist lebendig«, murmelte er.
    Sie sah, wie der Pflug sich wie zur Antwort geschmeidig unter seiner Hand bewegte.
    Natürlich klopften sie nicht an. Um diese Nachtzeit? Da hätte doch jeder gewußt, daß es kein verirrter Reisender sein konnte – es konnten nur die Sucher sein. An die Tür zu klopfen würde die Leute warnen, würde ihnen Gelegenheit zu dem Versuch geben, den Jungen noch weiter fortzuschaffen.
    Aber der schwarzhaarige Sucher versuchte nicht einmal, die Tür am Griff zu öffnen. Er ließ einfach den Fuß

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