Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der magische Pflug

Der magische Pflug

Titel: Der magische Pflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
Vom Netzwerk:
gekniet und ihn geheilt. Alvin könnte dieses Mädchen retten, wenn er hier wäre.
    Sie ließ ihren Geist in die Dunkelheit hinausschweifen, suchte nach jenem Herzensfeuer, das so hell brannte, daß sie es besser kannte als jedes andere auf der Welt, besser sogar als ihr eigenes. Und da war er auch schon, durch die Dunkelheit laufend, wie es die Roten Männer taten, als schliefe er, und das Land um ihn herum war seine Seele. Er kam schneller herbei, als jeder Weiße es je hätte tun können, selbst wenn er das schnellste Pferd auf dem besten Weg zwischen dem Wobbish und dem Hatrack gehabt hätte. Doch er würde erst morgen mittag hier eintreffen, und bis dahin würde dieses entlaufene Sklavenmädchen tot sein und in seinem Grab auf dem Familienfriedhof liegen. Der einzige Mensch in diesem Land, der ihr Leben hätte retten können, würde um etwa zwölf Stunden zu spät kommen. Alvin konnte das Mädchen zwar retten, aber er würde nie erfahren, daß sie der Rettung bedurfte, während Peggy, die nicht das geringste tun konnte, alles wußte, was geschah und was geschehen würde, die wußte, was geschehen müßte, wenn die Welt wirklich gut wäre. Doch sie war nicht gut. Es würde nicht geschehen.
    Was für eine schreckliche Gabe es war, eine Fackel zu sein, all diese Dinge auf sich zukommen zu sehen und doch so wenig Macht zu haben, sie zu verändern. Die einzige Macht, die sie besaß, waren die Worte, die sie aussprach, die sie Menschen mitteilte. Und nicht einmal dann konnte sie sicher sein, wofür sie sich entscheiden würden. Immer gab es irgendeine Möglichkeit, welche die Menschen einen noch schlimmeren Weg einschlagen ließ als jenen, vor dem Peggy sie eigentlich bewahren wollte – und so häufig entschieden sie sich in ihrer Bösartigkeit oder ihrem Starrsinn oder einfach aus Pech dazu, fällten sie diese schreckliche Entscheidung. Und dann verliefen die Dinge noch viel schlimmer für diese Menschen, als es der Fall gewesen wäre, wenn Peggy geschwiegen hätte.
    Ich wünschte, ich wüßte so etwas nicht. Ich wünschte, ich hätte einen Funken Hoffnung, daß Alvin noch rechtzeitig eintreffen könnte. Ich wünschte, ich hätte einen Funken Hoffnung, daß dieses Mädchen überleben könnte. Ich wünschte, ich könnte selbst ihr Leben retten.
    Und dann dachte sie an die vielen Male, als sie tatsächlich ein Leben gerettet hatte. Alvins Leben, mit Hilfe von Alvins Mutterkuchen. Und da entzündete sich doch noch ein Funke in ihrem Herzen, denn sicherlich könnte sie – nur dieses eine Mal – ein Stückchen vom letzten Fetzen des Mutterkuchens dazu verwenden, dieses Mädchen zu retten.
    Peggy sprang auf und rannte unbeholfen zur Treppe. Ihre Beine waren so taub vom Sitzen auf dem Boden, daß sie ihre Füße kaum spürte, wie sie das nackte Holz berührten. Auf der Treppe stolperte sie, machte etwas Lärm, doch keiner der Gäste wachte auf, soweit sie das feststellen konnte. Die Treppe hoch, dann die Leiter hinauf, die in die Dachkammer führte, und die Altpapi noch drei Monate vor seinem Tod zu einer richtigen Treppe ausgebaut hatte. Sie bahnte sich ihren Weg zwischen den Truhen und den alten Möbeln, bis sie ihre Dachstube im Westflügel des Hauses erreicht hatte. Mondlicht fiel durchs Südfenster und warf quadratische Muster auf den Boden. Sie hob ein Dielenbrett an und holte den Kasten aus dem Versteck.
    Entweder waren ihre Schritte zu schwer, oder der Gast hatte einen leichten Schlaf, denn als Peggy die Leiter hinabstieg, stand er da. Seine dürren, weißen Beine staken unter dem langen Nachthemd hervor, und er blickte die Treppen hinunter und dann wieder zu seinem Zimmer, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er hinein oder hinaus wollte, hinauf oder hinunter. Peggy schaute in sein Herzensfeuer, um festzustellen, ob er schon unten gewesen und das Mädchen und ihr Baby gesehen hatte, denn in diesem Fall wären alle ihre Bemühungen und die ganze Vorsicht umsonst gewesen.
    Doch er hatte es nicht getan. Alles war noch offen.
    »Warum seid Ihr immer noch wie zum Ausgehen gekleidet?« fragte er. »Noch dazu um diese Morgenzeit?«
    Sanft legte sie ihm einen Finger auf die Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen – und wußte sofort, daß sie die erste Frau seit seiner Mutter war, die diesen Mann im Gesicht berührte. Sie sah, daß sich in diesem Augenblick sein Herz füllte, nicht mit Lust, sondern mit den vagen Sehnsüchten eines einsamen Mannes. Es war der Prediger, der vorgestern morgen eingetroffen war, ein

Weitere Kostenlose Bücher